Im Dunkel des Deltas (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
weil dieser Ort bislang der einzige Ansatzpunkt in diesem Fall war. Sonny Boy hatte ein Barracoon erwähnt, das Jean Lafitte in der Nähe des Sees gebaut hatte, und dann hatte Sweet Pea Chaisson, dem man allerlei Brutalität zutraute, aber keine Gefühlsduselei in Sachen Familie, die Überreste seiner Adoptivmutter exhumiert und mit einem Müllwagen von der Bertrandschen Plantage nach Breaux Bridge transportieren lassen. Beide Männer verkehrten in einer Welt aus Neon und Beton, in der Menschen einander täglich kauften und verkauften, und sie hielten sich ans gleiche Lebensprinzip, das auch einen Piranha umtreibt. Welchen gemeinsamen Nenner gab es zwischen den beiden und einer kleinen ländlichen Gemeinde, in der lauter arme Schwarze lebten?
Ich parkte meinen Pickup und trabte den Fahrweg zwischen den endlosen Zuckerrohrfeldern dahin, über die Bahngleise, vorbei an einem windschiefen, aus Brettern zusammengenagelten Laden und einer Reihe von Hütten. Hinter mir bog ein weißer Kleinwagen von der Straße ab, bremste ab, damit mir der Staub nicht ins Gesicht flog, und fuhr auf die erleuchteten Häuser am See zu. Ich konnte die Umrisse der beiden Insassen sehen, die miteinander redeten.
Der Wind war warm und roch nach Pferden und dem Duft der bei Nacht blühenden Blumen, nach frisch gepflügter Erde und dem Rauch, der von dem Stoppelfeuer unmittelbar neben einem Pecanhain aufstieg. Es sah aus, als tanzten unstete Schattengestalten im Feuerschein zwischen den Baumstämmen, und wenn man seiner Phantasie freien Lauf ließ, wirkte es fast so, als ob diejenigen, die früher auf diesem Land gewohnt hatten, sich nicht mit ihrer Vergänglichkeit abfinden mochten.
Ich habe oft das Gefühl, daß Geschichte möglicherweise gar keine Abfolge von Ereignissen ist – daß alle Menschen, egal, aus welchem Zeitalter, gleichzeitig leben, vielleicht in verschiedenen Dimensionen, unsichtbar für andere, so als hätten wir alle teil an einer großen geistigen Grundidee.
Indianer vom Stamm der Attakapas, spanische Eroberer, Sklaven, die den Schlamm aus dem See geschleift und daraus Ziegelsteine für die Häuser ihrer Herren hergestellt hatten, die Jungs aus Louisiana in ihrem nußbraunen Drillich, die sich geweigert hatten, nach Appomattox die Waffen zu strecken, die Unionssoldaten, bei deren Vormarsch schwarze Rauchwolken den Himmel verdüstert hatten, soweit das Auge reichte – vielleicht waren sie alle da draußen, unter uns, nur einen Atemzug entfernt, verbargen sich lediglich in dem unbestimmten Lichtschein, den man manchmal aus dem Augenwinkel wahrzunehmen meint.
Doch die Lichter, die ich weit weg in einem Gummibaumhain sah, waren durchaus von dieser Welt. Ich sah, wie sie von Baumstämmen zurückgeworfen wurden, und ich hörte das Mahlen und Röhren eines schweren Motors am anderen Ende des Fahrwegs, der an Bertie Fontenots Haus vorbeiführte.
Ich lief langsamer, atmete tief durch und blieb neben einem Viehgatter und einem mit Glyzinien überwucherten Torbogen stehen – dem Eingang zum Anwesen der Familie Bertrand. Durch die Luftfeuchtigkeit schimmerte der Fahrweg im Mondlicht, und in den Pfützen, die der Regen hinterlassen hatte, wimmelten die Insekten. Ich trabte auf die Lichter zwischen den Bäumen zu, hörte den steten Rhythmus meiner Schritte, und ich hatte das Gefühl, als dringe ich nächtens in eine Welt ein, die sich bislang dem Zugriff des zwanzigsten Jahrhunderts entzogen hatte.
Dann kam ich mir mit einem Mal nackt vor. Ich hatte weder eine Dienstmarke noch eine Waffe dabei, war nichts weiter als ein ganz gewöhnlicher Jogger. Es war ein seltsames Gefühl, und zugleich wurde einem dabei bewußt, mit welcher Selbstverständlichkeit man Tag für Tag aufgrund dienstlicher Vollmachten in das Privatleben anderer Menschen eindringen konnte, die einen bang und beklommen gewähren lassen mußten.
Das Mahlen des Motors hatte aufgehört, und die Scheinwerfer waren abgeblendet worden und dann ausgegangen. Ich spähte zwischen die Gummibäume, versuchte etwas zu erkennen und stellte dann fest, daß die Maschine, ein großer rechteckiger Klotz mit Führerhaus und riesigen eisernen Raupen, dessen Planierschild im Mondschein funkelte, in einem Feld hinter den Bäumen stehengeblieben war.
Die Häuser von Bertie und ihrem Neffen waren dunkel. Als ich auf den Hain zuging, sah ich, daß die Planierraupe regelrechte Fahrschneisen durch die Bäume gepflügt, das Wurzelgeflecht zerrissen, Äste abgeknickt, Gräben ausgefurcht und
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