Im Dunkeln sind alle Wölfe grau
niedergeschlagen. Ich fuhr mir mit der freien Hand durchs Haar und versuchte, meine Kleidung zu ordnen. Aber eine ältere Dame, die vorbeiging, warf einen strammen Blick auf uns alle, ohne mich mit Verwunderung herauszusondern.
»Aber die Olga hat doch wohl nichts mit dem Brand zu tun, oder?« sagte ›Brandstelle‹.
»Nein, nein. Hier geht’s um was anderes«, antwortete ich vage.
»Stauer-Johan?« fragte er vorsichtig.
Ich sah ihn schnell an, bevor ich nickte. »Hast du ihn gekannt?«
»Nee. Nich mehr, als alle die andern. Weißt du, wenn man erst drin is im Milieu, dann isses gar nich so groß.« Er zögerte etwas. Dann sagte er leise: »Aber ich bin der Olga mal nachgestiegen, vor’n paar Jahren. Sogar die hat mich abgewiesen. Da siehst du, was für Chancen ich hab. Was ich an Liebe gekriegt hab, die letzten dreißig Jahre, das hab ich mir kaufen müssen. Oder sonst isses im Suff passiert, wenn sie sowieso mit jedem X-beliebigen pennen.«
Ich antwortete nicht, sondern nickte und biß mir auf die Lippe.
»Kommt doch mit zu mir«, sagte Riesen-Olsen und kam zu uns herüber. »Wir können für einen Genever zusammenlegen, dann nehm ich ein Taxi rein nach Greggen und kauf einen. Na los!«
»Wir müssen nur hoch, was erledigen«, sagte ›Brandstelle‹ feierlich.
»Und Geld hab ich auch nich.«
»Und du?« Er sah hoffnungsvoll zu mir.
Ich klaubte fünf Zehner aus der Innentasche. »Guck hier. Das is von ›Brandstelle‹«.
Seine Hände waren groß, und sie schlossen sich um das Geld, wie eine Kinderfaust um Schokoladenpapier. »Du bist eingeladen, wenn du willst. Brandstelle weiß, wo es is.«
Riesen-Olsen und die Damen bogen nach rechts ab, während wir weitergingen, die Treppen bei Søre Almenning hinauf. ›Brandstelle‹ mußte nach jedem Absatz eine Atempause einlegen, also dauerte es seine Zeit.
Olga Sørensen wohnte im ersten Stock eines grauen Bergenser Stadthauses in der Kirkegate. Wir gingen die Treppe zum ersten Stock hinauf. Jensen stand an der braunen Tür, aber nichtsdestotrotz wohnte dort, laut ›Brandstelle‹, Olga Sørensen. Wir bekamen es allerdings nicht bestätigt, denn es machte niemand auf.
Ich sah zweifelnd auf das Türschild. »Du bist sicher, daß sie nicht umgezogen ist?«
»Klar, sag ich doch. Dann hätt ich davon gehört.«
»Aber – der Name an der Tür?«
»Dasselbe Schild hing hier letztes Mal auch. Sie hat sich nur nich die Mühe gemacht, es auszuwechseln. Unten am Briefkasten steht sicher ihr Name.«
Die braune Tür verriet nichts. Hinter zwei schmalen, welligen Glasscheiben erkannten wir undeutlich eine geblümte Gardine, aber das Licht drinnen brannte nicht.
»Sie kommt sicher gleich wieder«, sagte ›Brandstelle‹. »Jetzt weißt du jedenfalls, wo sie wohnt. Wir können solange zu Riesen-Olsen runtergehn und warten.«
Auf dem Weg nach draußen überprüfte ich die Namen auf den Briefkästen. Er hatte Recht. Auf einem von ihnen stand O. Sørensen.
Wir kamen genau in dem Moment zu Riesen-Olsen hinunter, als eine der Damen aus einem Taxi stieg, mit einer blauen Tüte vom Wein-Monopol in der einen Hand und einer Topfpflanze in der anderen. »Sie haben mich zum Monopol geschickt. Ich denk mir, Riesen-Olsen wollte ’ne Nummer schieben, während er wartete. Aber ich hab die Blume hier gekauft. Dachte, wir könnten’s ein bißchen hübsch machen.«
In dem klaren Tageslicht war ihr Gesicht offen und ein wenig naiv, mit großen Poren und vollen Lippen mit Konturen wie denen einer Qualle, nur teilweise durch eine unregelmäßige Schicht roter Farbe getarnt.
Ich taumelte eine Treppe hinunter und in einen dunklen kalten Keller hinein. Ganz hinten im Keller leuchtete es durch die Ritzen der Tür und als wir sie öffneten, landeten wir direkt im Schoß von Riesen-Olsen und seiner Freundin. Sie lagen in luftiger Bekleidung auf dem Boden und sahen aus, als hätten sie die Klimaanlage getestet. Es war ein kleiner Raum und als wir nun mit drei Leuten ankamen, gab es ein Gedränge wie im Stadion während eines Endspiels. Riesen-Olsen zog die Hosen hoch und seine Freundin schob routiniert den Rock zurecht. ›Brandstelle‹ setzte sich in den einzigen Stuhl im Raum, ein Überbleibsel aus dem Dreißigjährigen Krieg, während die Dame mit der Topfpflanze durch den Raum und in die Küche hinausging, um zu wenden. Die Küche bestand aus einer Zinkspüle und einem Eimer auf dem Boden. Neben dem Eimer stand ein offener Milchkarton und zehn leere Bierflaschen. Sie war augenscheinlich schon
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