Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Dutzend phantastischer

Im Dutzend phantastischer

Titel: Im Dutzend phantastischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
Vom Netzwerk:
einen weiblichen Körper eingepflanzt, woran du vermutlich nicht unschuldig bist – bei deiner Lebensweise und deiner Vergangenheit. Darauf achten SIE. Sei froh, dass du in deinem früheren Leben keine Fliegen zerquetscht oder Schlangen gefangen hast.
    Sie haben mich in eine Frau eingepflanzt? Was denn von mir?
    Dein Gehirn. Der Rest ist austauschbar.
    Paralysiert bedeckte ich mit beiden Händen meine Nacktheit und stellte fest, dass dies nun schwieriger war als früher. Scheiß drauf. Das ist alles nur ein Albtraum, ein Drogenrausch, aus dem ich bald erwachen würde.
    Leider nicht, mein Lieber – oder soll ich meine Liebe sagen? Das ist zwar albtraumhaft, aber ein Traum ist es wahrlich nicht. Und ich kann nichts daran ändern.
    Wer bist du eigentlich?
    Wer ich bin, ist nicht wichtig, aber wo ich bin, kann ich dir sagen: Rechts von dir.
    Neben meiner Trage stand eine zweite. Unter dem mittig darauf platzierten Glaskolben pulsierte ein Gehirn. Es zwinkerte mir zu – diese Geste nahm ich in meinem Kopf wahr.
    Ertappt. Und nun wünsche ich dir eine schöne Zeit in deinem neuen Leben, deinem neuen Körper.
    Sein Lachen klang bitter.
    Meine Lippen zitterten, als ich mit der Zunge darüber fuhr. »Ich.« Zum ersten Mal hörte ich meine neue Stimme, sie klang ungewohnt hoch. Ich seufzte innerlich und schmiedete einen Plan. Alleine wollte ich hier nicht raus, ohne Wilhelm hatte ich keine Chance, das wusste ich. Er lag schon ewig hier rum, hatte er gesagt: Zeit für eine Veränderung, mein Freund.
    Ich zeigte auf das Gehirn neben mir – auf Wilhelm.
    Ich heiße nicht Wilhelm, verdammt noch mal. Ich warne dich, du wirst schneller wieder hier landen als dir lieb ist, wenn du mich auch nur anrührst.
    »Er gehört zu mir.«
    Die Männer um mich herum sahen sich überrascht an. Eine Forderung hatte demnach noch nie eines ihrer Monster gestellt.
    »Das wird nicht so einfach sein«, meinte einer der Älteren.
    »Ich will ihn.« Ich war mir meiner Nacktheit bewusst, aber was hatte ich noch zu verlieren? Langsam stand ich auf. Meine Beine fühlten sich wackelig an. Dennoch gelang es mir, auf Wilhelm –
    Ich heiße nicht Wilhelm!
    – zuzugehen und meine Hände über den Glaskolben zu legen.
    »Wir müssen sie aufhalten! Wenn sie ihn freilegt, müssen wir ihm einen Körper geben.«
    Doch niemand hielt mich zurück. Ich war ihre Schöpfung und besaß den Schutz des Neugeborenen.
    »Gewähren wir ihr den Wunsch. Sie wird einen Freund brauchen können«, hörte ich eine Stimme, die ich bisher noch nicht vernommen hatte. Ich drehte mich um, keiner von den Männern hatte gesprochen. Der Befehl war durch einen Lautsprecher gekommen.
     
    ***
     
    Meine Gedanken, die niemals meine eigenen gewesen waren, nenne ich weiterhin Wilhelm, obwohl er diesen Namen hasst und mich, jedes Mal, wenn ich ihn rufe, anknurrt. Wir kommunizieren gedanklich. Hunde können nicht sprechen, aber zumindest überleben – in dieser Welt, die ich weder akzeptieren noch verstehen kann. Es gibt hier kein Leben, keine Menschen, wie ich sie einst kannte. Alles scheint tot. Das Militär regiert. So wo ich es kannte, doch ich hatte immer gehofft, den Krieg zu überleben. Längst wünsche ich mich, dass mein Körper von einer Bombe zerfetzt worden wäre.
    Doch ich war in der Hülle eines Mannes im Jahre 1945 gestorben, im Bett, schlafend, ohne Vorwarnung. Mein Gehirn wurde in einen weiblichen Klonkörper importiert, der in einer neuen Zeitrechnung leben musste.
    Alles wird künstlich hergestellt und weiterentwickelt. Wir sind keine Androiden und keine Roboter, Teile von uns sind geklont oder gezüchtet, andere menschlich – Organe konserviert aus der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft, für ein großes Projekt, das sich dem Einzelnen nicht erschließt.
    Warum? Ich weiß es nicht. Aber ich lebe. Doch ich finde mich nur schwer zurecht in dieser toten, unmenschlichen, technischen, kinder- und farblosen Welt. Obwohl ich Kinder in meinem früheren Leben nie gemocht hatte, fehlen sie mir heute. Wenn ich schweißgebadet aus einem Albtraum erwache, denke ich an Christine. Dann taste ich um mich und hoffe, dass sie neben mir liegt. Manchmal greife ich ins Leere, oft treffe ich nur einen haarigen Wilhelm, mit dem ich ein Schicksal teile.
    Was wird sein, wenn ich in dieser Zeit sterbe? In welche Zukunft reise ich dann? Wird sie besser sein als diese? Ich weiß es nicht. Wir wissen es nicht, wir wissen nur: Um besseren Zeiten entgegen sehen zu können, muss ich zuerst

Weitere Kostenlose Bücher