Im Dutzend phantastischer
getrunken haben, für die und ihre Kinder, schreibe ich die Geschichten auf, die mir der alte Mann bei seinen Besuchen erzählt hat.
Es war ein nebeliger, regnerischer Tag. Jeder Gast, der meinen Pub betrat, hinterließ eine nasse Fußspur. Gegen Abend öffnete sich die Tür und ein Mann trat herein. Es war das erste Mal, dass ich ihn traf. Ein Fremder. Und Fremde hatten oft einen Koffer voll Ärger dabei. Doch dieser Fremde war anders. Es war sein Blick, ein freundlicher, fast zärtlicher Ausdruck lag in seinen Augen. Zärtlich ist nicht das passende Wort für einen Mann, aber ein anderes will mir nicht richtig erscheinen.
Er setzte sich zu mir an die Bar, bat um einen Teller Suppe und fragte nach einem Zimmer.
Ich vermietete eine kleine Kammer an Reisende, die sich die Pensionen nicht leisten konnten. Diesen kärglich ausgestatteten Raum bot ich ihm an, während ich ihm eine warme Mahlzeit zubereitete.
Erst als er seinen Hunger gestillt hatte, sagte er mir, dass er kein Geld habe. Ich war nicht wütend, wie es sonst der Fall war und ich warf ihn auch nicht raus, wie ich es mit jedem anderen Gast gemacht hätte. Dieser alte Mann war anders, er war etwas Besonderes. Sein wettergegerbtes, runzeliges Gesicht wirkte, als hätte jemand mit einem scharfen Messer Tausende von Furchen in die Haut geritzt, um es als Landkarte und nicht als Antlitz betrachten zu können. Ein Gefühl bäumte sich wild in mir auf, dass das Gesicht des alten Mannes ein Märchenbuch sei, die Falten der Weg zu all den vielen Orten, die der Alte durchwandert hatte, um neue Geschichten zu hören.
Geschichten von Schlössern und Menschen, von Morden und Liebe, von Geheimnissen und Abenteuern. Die Augen des alten Mannes waren die Quelle – die Oase des Wissens; klar und blau und lebendig. Die Art, wie er um eine Mahlzeit bat, wie er seine Hände dabei bewegte, faszinierte mich. So, als erzählte er eine Geschichte damit. Wie schön wäre es gewesen, diese Hände zu beobachten, wenn der Mund des Mannes die dazu passenden, geheimnisvollen Worte preisgäbe?
Seine Kleidung war mit Dreck und Staub bedeckt und wies zahlreiche Risse und Löcher auf, die zerschlissenen Sachen wirkten nicht abstoßend, sondern schienen davon zu berichten, in welchen Ländern und Städten der alte Herr gewesen war. Und ich kann Ihnen sagen, es müssen eine Menge gewesen sein. Ich wollte davon hören, von diesen Erfahrungen und Erlebnissen. Dieser alte Mann entfachte eine Gier in mir. Ein längst gelöschtes Feuer von kindlichen Gefühlen entbrannte beim Anblick dieses Mannes, kräftig und zehrend, dass ich die Geschichten in mein Inneres aufnehmen und nie mehr vergessen wollte. Nur deshalb wies ich ihn nicht zur Tür, als er mir sagte, er habe kein Geld, sondern antwortete: »Dann bezahle in Geschichten. Eine fürs Schlafen und eine fürs Essen, zwei pro Tag.« Doch weil mich plötzlich eine Unsicherheit überkam, die ich bis heute nicht erklären kann, fügte ich hastig hinzu: »Du kannst doch Geschichten erzählen?«
Und als wäre die Sonne direkt über uns aufgegangen, erhellte sich das Gesicht des Alten. Die Augen glänzten noch frischer, und die Falten gruben sich tiefer in die Haut. Er grinste. Dann lachte er laut, ein tiefes Lachen, voller Würde. Er beruhigte sich schnell und verriet mir: »Wenn ich dir all die Geschichten erzählen soll, die ich kenne, wirst du niemals mehr das Zimmer an jemand anderen vermieten können, und du würdest darüber dein Leben lassen. Denn ich habe so vieles erlebt und gehört, dass ich drei Menschenleben über 80 Jahre hinweg täglich unterhalten könnte.«
Dann beugte er sich über den Tresen. Mit einer winzigen Flamme der Heiterkeit, die weit hinten in seinen Pupillen flackerte, flüsterte er: »Ich bin ein Geschichtenerzähler!«
Er hatte leise gesprochen, so leise, dass ich dachte, nur ich hätte diese letzten Worte hören können. Doch im Pub wurde es mit einem Schlag ruhig. Alle sahen zu dem alten Mann hinüber.
Ich sollte noch erwähnen, dass ich aus Irland stamme. Irland ist das Land der Geschichten, der Sagen und der Legenden. Die Moderne ließ die Geschichtenerzähler verstummen, sie nahmen ihre wundersamen und einzigartigen Erzählungen mit ins Grab, um den Toten die Langeweile zu vertreiben. So die Legenden. Nur deshalb verstummten die Gespräche, und nur aus diesem Grunde schien jeder Anwesende fieberhaft darauf zu warten, was der alte Mann als Nächstes sagen würde. Nach unzähligen, spannungsschwangeren
Weitere Kostenlose Bücher