Im eigenen Schatten
Fähren nicht beladen werden.«
»Du könntest dort einen Bauchtanz vorführen, das beruhigt die Gemüter, meine Liebe. Und du würdest es in den Lokalnachrichten sicher auf den ersten Platz bringen. Aber davor musst du bitte einiges für mich tun.«
»Alles, was du willst, Chef.« Sie schmachtete ihn an wie schmelzendes Erdbeereis mit künstlichen Aromastoffen.
»Ich brauche die Handelsregistereinträge aller Firmen Spechtenhausers und auch jener, an denen er nur beteiligt ist. Ferner frag bitte die Kontostände ab, hier ist der Wisch vom Staatsanwalt, der Untersuchungsrichter hat ihn abgezeichnet, ohne einen Blick darauf zu werfen …« Er schob ein Blatt über den Tisch.
»Die Banken sind am Samstag geschlossen. Und meine Schicht endet um vierzehn Uhr. Heute kann ich nicht länger bleiben, ich bin verabredet.«
»Mit dem Goldschmied vermutlich.«
Anzüglich lächelnd hob Marietta den Busen, als sie Laurentis Blick auf ihr Dekolleté bemerkte.
»Eine wirklich schöne Kette. Es muss die große Liebe sein.«
»Wie viele Colliers könnte man wohl aus eineinhalb Tonnen Gold schmieden?«
»Leg sie auf die Küchenwaage und rechne es aus. Endlich hast du einen reichen Mann gefunden, Marietta. Betrüg ihn nicht, wie all die anderen.«
»Wenn mich mein Traummann seit Jahrzehnten verschmäht, muss ich mir anders behelfen.« Wieder setzte sie diesen Hundeblick auf, doch dann änderte sie rasch ihre Haltung. »Dass meinem Chef der Schmuck gefällt, nehme ich selbstverständlich mit Freude zur Kenntnis. Das steigert unweigerlich die Lust an der Arbeit.«
»Also, erledige das mit den Banken gleich Montagvormittag. Aber vorher lass bitte die Melderegister seiner Angehörigen raus, samt Strafregister und dem ganzen Kram. Und auch von dem Anwalt, der Spechtenhausers erster Frau nicht von der Seite weicht. Galimberti heißt er, seinen Vornamen kenne ich nicht, aber du wirst ihn schon finden. Schau ins Anwaltsregister. Und frag bitte auch bei den Kollegen in Bozen nach, ob irgendwelche Vorfälle gemeldet wurden, die mit der Familie zu tun hatten. Das Gleiche brauche ich natürlich von Gundolf Moser.«
»Wie schreibt sich der?«
Laurenti buchstabierte. »Recherchier bitte auch im Internet, was dort über diese Herrschaften zu finden ist.«
»Ich liege dir zu Füßen, mein Herr.«
»Lass den Quatsch, Marietta, und mach dich ans Werk.«
Die Nuklearkatastrophe in Japan, der Umsturz in Tunesien sowie der Aufstand gegen den Tyrannen in Libyen, die Unruhen in Syrien, der Tod des Terrorfürsten Osama Bin Laden durch die Kugeln einer amerikanischen Spezialeinheit in Pakistan, die Massenproteste im Jemen und in Ägypten, die Ehec-Epidemie in Deutschland durch verseuchtes Gemüse, der drohende Bankrott Griechenlands, die Ausschreitungen bei den Demonstrationen gegen die Sparmaßnahmen der Regierungen in Spanien und Portugal und die Affären des Premierministers und einiger seiner Minister waren auf den Titelseiten der Tageszeitungen zu Marginalien geworden. Die Presse schrieb: »Spektakulärster Raubzug aller Zeiten«, »Jahrtausendcoup dreister Verbrecher« oder gar von der »Finalen Schlacht des organisierten Verbrechens«. Einer der beiden Sicherheitsmänner aus dem Begleitfahrzeug des Goldtransporters hinterließ eine Frau und drei kleine Kinder. Sein Foto stand schwarz eingerahmt neben einer Aufnahme des Tatorts. Ein riesiger gelber Bagger war auf einer Autobahnbrücke zu sehen, seine abgesenkte Schaufel reichte fast bis zu einem mächtigen Haufen Schrott hinab, der die Fahrspuren blockierte. Ein drittes Foto zeigte einen kahlköpfigen jüngeren Mann mit buschigen Augenbrauen und stämmigem Hals. Es stammte ganz offensichtlich aus dem Personalausweis eines der Tatverdächtigen: Johann Pixner, einunddreißig Jahre alt, aus Campo di Trens, Freienfeld zu Deutsch, einer kleinen Gemeinde in der Provinz Bozen. Arbeitsloser Metzgergeselle, Vorstrafen wegen Körperverletzung, Überfällen und Einbrüchen, die er zusammen mit seinem Bruder Ignaz verübt hatte. Auch die deutsche Polizei fahndete nach ihm.
Pina Cardareto hatte Wochenenddienst und stand, kaum dass ihr Chef sie gerufen hatte, auf der Schwelle seines Büros. Laurenti legte die Zeitungen zur Seite und gab ihr mit einer Handbewegung zu verstehen, dass sie sich setzen möge, doch die kleine Inspektorin blieb wie angewurzelt und mit verschränkten Armen vor seinem Schreibtisch stehen. Wie immer trug sie Jeans und T-Shirt, im Gürtelholster steckte die schwere Beretta,
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