Im eigenen Schatten
die sie meisterlich zu bedienen wusste. Doch dass diese Kampfmaschine sich einmal in einem Gespräch mit ihrem Vorgesetzten entspannte, war bisher nie vorgekommen.
»Dieser Spechtenhauser macht Arbeit, Pina. Ich werde mich bei den Kollegen jenseits der Grenze über ihn erkundigen. Doch Sie werden ihn sehr rasch genauer kennenlernen.«
»Da er tot ist, eine Hausdurchsuchung also. Haben Sie den Durchsuchungsbefehl?«
»Erfasst.« Er reichte ihr das Blatt über den Schreibtisch, weshalb die Inspektorin ihre gusseiserne Haltung aufgeben und zwei Schritte auf ihn zu machen musste. »Bedenken Sie, dass der Mann vor über einer Woche umgekommen ist. Seine Angehörigen werden einiges im Haus verändert haben. Andererseits hatten sie aber eine Menge zu tun, die laufenden Geschäfte, die Trauerfeier, Buffet bestellen, Honneurs machen, die Betroffenheit falscher Freunde. Falls es etwas zu beseitigen gab, dann haben sie es in Eile getan. Bereiten Sie sich gut vor, Pina. Die Haushälterin soll Ihnen öffnen. Ohne Vorankündigung. Ich würde nicht darauf wetten, dass Sie allein sein werden. Seine Exfrau und sein Sohn sind auch in der Gegend. Seien Sie auf der Hut, die Zwillinge werden sofort zur Stelle sein, wenn sie Lunte riechen. So gesittet sie alle wirken, rechnen Sie damit, auf einen Schlag den Werwolf vor sich zu haben.«
»Auch ich kann die Zähne zeigen, Commissario.« Mit einem gehässigen Lächeln entblößte sie ihr Gebiss.
»Nehmen Sie drei Kollegen mit und lassen Sie sich Zeit. Ich nehme an, er hatte ein Büro im Haus. Akten, Kontoauszüge, Geschäftspapiere, Terminkalender. Stöbern Sie in den Papierkörben. Falls er einen Computer hatte, nehmen Sie ihn mit. Fordern Sie eine Liste seiner Telefonate an, suchen Sie den Safe. Außerdem will ich wissen, was er am Abend vor seinem Tod getan hat. Nein, rekonstruieren Sie bitte den ganzen Tagesablauf. Wen hat er wo gesehen? Mit wem gesprochen?«
»Und nachher verwendet das der Staatsanwalt für seinen nächsten Roman.« Die Kleine wippte kampflustig mit dem Fuß.
»Haben Sie etwas von ihm gelesen?«, fragte Laurenti verblüfft.
»Ich werde ihn karikieren. Ein ideales Objekt für einen Comic.«
»Passen Sie auf, dass er Sie nicht wegen Ehrverletzung verklagt.«
»Was noch?«
»Ich möchte auch wissen, was Spechtenhauser gegessen und getrunken hat.«
»Das hat der Gerichtsmediziner längst in seinen Bericht gefasst. Magen- und Darminhalt geben präzise Auskunft.«
»Und mit wem.« Laurenti überging ihre Bemerkung. »Spechtenhauser hatte bei seinem Absturz immerhin noch eins Komma sechs Promille im Blut. Um sechs Uhr morgens.«
»Vielleicht hatte er Angst vorm Fliegen und musste sich Mut antrinken.«
»Nehmen wir einmal an, er ist um fünf Uhr morgens aufgestanden, Pina. Wir wissen, dass er frisch rasiert war und Kaffee getrunken hat, bevor er das Haus verließ. Spechtenhauser war kein Mann, der ein Glas Wein ausschlug, wog über hundert Kilo und war ein guter Esser. Wenn er gegen Mitternacht zu Bett gegangen ist, dann hatte er einen Vollrausch gehabt. Hat er sich den allein angesoffen oder nicht? Schauen Sie in den Müll. Stehen Weinflaschen rum? Lassen Sie die auf Fingerabdrücke untersuchen. Nicht immer schenkt nur der Gastgeber ein. Gewürztraminer vermutlich, mindestens vier Flaschen. Verstanden?«
»Was? Wie viel?«, frage Pina mit gerunzelter Stirn. »Wie heißt der?«
»Gewürztraminer.« Er buchstabierte. »Von seinem Weingut in Südtirol.« Laurenti wusste, dass die kleine Kampfmaschine am liebsten Bier trank. »Noch etwas, Pina. Ich war in aller Frühe bereits am Flugplatz von Prosecco. Der Mann soll trotz seines Alters ein äußerst versierter Pilot gewesen sein und hatte fast so viele Flugstunden auf dem Buckel wie ein Berufspilot der Alitalia. Im Hangar stehen noch zwei Maschinen aus seinem Eigentum, wahre Antiquitäten aus den dreißiger Jahren. Mit viel Aufwand restauriert. Die Kollegen von der Kriminaltechnik haben sie untersucht: nicht die geringste Spur von Sprengstoff. Woher wusste der Attentäter, dass Spechtenhauser an diesem Morgen die große Maschine nehmen würde? Zweimotorig, Platz für sechs Passagiere, ideal für längere Reichweiten – obwohl er angeblich nur nach Bozen fliegen wollte. Im Sommer nahm er dafür sonst lieber die offene Fiat C.R.20 mit den zugeschweißten Maschinengewehren an Bord. Der Täter war also informiert und hatte genügend Zeit, die Cessna zu manipulieren.«
»Familie vermutlich. Also doch eine Geschichte
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