Im eigenen Schatten
auf.
Auch auf Laurentis Schreibtisch war die Fahndungsmeldung gelandet, die von der Sonderkommission am Flughafen erarbeitet worden war. Er pfiff durch die Zähne, während er die Liste durchging. Sein Finger blieb auf einem Namen stehen: Mimmo Oberdan war einer der Passagiere des Flugs nach München gewesen, und im Knast hatte er nachweislich Kontakt zu mindestens zwei anderen Personen gehabt, für die ebenfalls ein internationaler Haftbefehl ausgestellt worden war. Hatte der Erzengel also nur kurz mit seinen guten Vorsätzen durchgehalten und war so rasch schon rückfällig geworden?
Laurenti griff zum Telefon und wählte die Nummer des Kollegen der Antimafiaabteilung, den die Polizeipräsidentin zusammen mit Gilo Battinelli in den Hangar delegiert hatte. Daniele Furlan war ein Jugendfreund Lauras und, wie sie, in San Daniele del Friuli aufgewachsen. Er hatte nach Tolmezzo geheiratet, wo seine Frau mit den beiden Kindern lebte, die der Mann an diesem Wochenende nicht besuchen konnte. Er kannte den Erzengel fast genauso gut wie der Commissario, den Furlan jedes Mal um Hilfe bei der Festnahme gebeten hatte, als er noch für Eigentumsdelikte zuständig gewesen war und Mimmo wieder einmal etwas ausgefressen hatte.
»Hast du ihn bereits eingelocht?«, fragte Furlan sofort, als er nach dem dritten Rufton abnahm.
»Nein. Ich wollte mich lediglich vergewissern, ob er nicht rein zufällig in dem Flieger saß.«
»Das schließe ich hundertprozentig aus. Wir haben die Videobänder des Flughafens analysiert. Der Erzengel kennt die anderen sehr gut aus dem Knast. Findest du es also normal, dass sie im Flughafen während des Eincheckens, an der Sicherheitskontrolle und im Wartesaal so taten, als wären sie Fremde? Nicht einmal Blicke haben sie gewechselt. Mit einem anderen, diesem Novak, hat er dafür die ganze Zeit geredet. Der aber saß nicht in Tolmezzo.«
»Also einstudiert?« Laurenti hob die Augenbrauen.
»Weißt du, wo er sich aufhält?«
»Mimmo ist mir vor ein paar Wochen zufällig über den Weg gelaufen. Er sagte, dass er eine Anstellung als Baggerführer beim Ausbau der A4 gefunden habe.«
»Als was?«
»Baggerführer, habe ich gesagt.«
»Und auf der A4? Das passt wie die Faust ins Tiramisu, Proteo.«
»Er wohnt dort in irgendeinem Kaff, dessen Name mir nicht mehr einfällt. Irgendetwas mit Mond.«
»Pampaluna etwa?«
»Richtig. Eine kleine Wohnung in einem Gehöft.«
»Danke. Das hilft uns weiter.«
Der Commissario wählte Oberdans Nummer, eine Ansage informierte, dass sein Gerät ausgeschaltet war. Er schickte ihm eine SMS mit dem Text: »Es wird Zeit für ein Glas Wein, Mimmo. Melde dich.«
Mariettas Schreibtisch war verwaist gewesen, als er sein Büro betreten hatte, doch die Schwaden von Zigarettenrauch und ein Blick auf ihren Aschenbecher hatten genügt, um den Commissario davon zu überzeugen, dass seine Assistentin nicht weit sein konnte. Laurenti war gerade dabei, einen Espresso aus der Maschine zu lassen, als er das Klappern ihrer High Heels im Flur vernahm, und kniff die Augen zusammen, als sie eintrat, um nicht von dem knalligen Orange ihres extrem kurzen, rückenfreien Sommerkleids geblendet zu werden. Wie eine zweite Haut umspannte es die tief gebräunten Rundungen Mariettas, und in ihrem beinahe bis zu den Zehen ausgeschnittenen Dekolleté verschwand eine schwere Goldkette, die ihr Chef bisher noch nie an ihr gesehen hatte. Auch an ihrem rechten Handgelenk trug sie einen Armreif, der offensichtlich vom gleichen Goldschmied gefertigt worden war.
Laurenti stieß einen Pfiff aus. »Du raubst mir den Atem, Marietta«, sagte er, während sie eine Körperdrehung vollführte, als befände sie sich auf dem Laufsteg. »Was war die Gegenleistung?«
»Neidisch, Commissario? Es gibt Männer, die sind süchtig nach mir.« Marietta legte kokett die linke Hand in ihren Nacken unter dem hochgesteckten schwarzen Haar, aus dem sich eine feine Strähne gelöst hatte. »An einem sonnigen Samstag, an dem alle anderen am Strand liegen, kann man sich den Dienst auch angenehm gestalten, findest du nicht?« Ihre Stimme war ein sanftes Gurren.
»Soll ich dir einen Liegestuhl bringen lassen?« Laurenti stellte seine Tasse ab.
»An den Rive und auf der Hochstraße ist das helle Chaos ausgebrochen. Wegen der Straßensperren staut sich der Schwerlastverkehr bis zur Abzweigung der Autobahn. Die armen türkischen Fernfahrer müssen sich allerhand anhören, dabei ist es ja nicht ihre Schuld, wenn die
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