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Im eigenen Schatten

Im eigenen Schatten

Titel: Im eigenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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auffiel. Ansonsten sollten Anita und Titti sich in München auf der Maximilianstraße beim Shoppen vergnügen, dem sie ausgiebig nachgekommen waren. Am Freitagmorgen hatten sie die Koffer gepackt und die Rechnung beglichen und waren gemütlich zum Flughafen gefahren.
    »Endlich Ferien in Grado. Die ganzen letzten Jahre wollte ich schon dahin«, sagte der Zweiundvierzigjährige zufrieden, streifte mit Daumen und Zeigefinger die Glut von der Kippe in den Aschenbecher und zerbröselte den Tabak bis zum Filter. Seit er als Junge zu rauchen begonnen hatte, löschte der Direktor seine Zigaretten so.
    »Doch jedes Mal ist dir etwas dazwischengekommen. Du warst einfach zu beschäftigt«, sagte Einstein, der sich vom Rücksitz zu seinem Kompagnon nach vorne beugte. »All diese Verpflichtungen gegenüber dem Staat …«
    Robert Unterberger war nicht nur wegen des Feuermals, das von seiner linken Wange über den Hals bis zum Genick lief, ein einprägsamer Typ: Seine roten Haare waren im Gegensatz zu dem Feuerschopf seiner Gefährtin ungefärbt, und ein Heer von Sommersprossen sprenkelte seine Nase. Deutsch und Italienisch redete er unverkennbar mit Bozner Akzent und meist nur in knappen Sätzen, wie er es einst von seinem Vater übernommen hatte. Nur manchmal ließ er sich unerwartet zu ausgiebigem Geplauder hinreißen und schien ein ganz anderer zu werden als der Unteroffizier, der fast bellend keine Nachlässigkeit durchgehen ließ. Jener Ton, mit dem er sich schnell auch im Gefängnis durchgesetzt hatte, nachdem er wegen schweren Subventionsbetrugs, Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Erpressung zu acht Jahren verurteilt worden war. Dabei habe er nichts anderes getan als alle in Südtirol, hatte er im Gerichtssaal behauptet, und außerdem habe die Republik Italien und nicht die Provinz Bozen den Schaden gehabt. Dort müsse sein Fall eigentlich verhandelt werden, denn in Mailand, wo man seiner Meinung nach einen korrupten Politiker nach dem anderen davonkommen ließ, sei man parteiisch. Der humorlose italienische Richter zeigte dafür kein Verständnis, er ordnete sogar an, dass Unterberger seine Strafe im Gefängnis von Tolmezzo absitzen musste. In strenger Isolationshaft, gemäß eines Paragrafen des Strafvollzugsgesetzes, der meist bei Mafiamitgliedern zur Anwendung kam. Es stand fest, dass er nicht allein gehandelt haben konnte. Hafterleichterung wäre erst möglich, wenn er mit den Behörden zusammenarbeitete und die anderen verpfiff; als gäbe es in Südtirol organisierte Kriminalität.
    Außenkontakt war den Gefangenen im Isolationstrakt nur sehr eingeschränkt gestattet. Vor den Fenstern der Zellen waren Blenden angebracht, die jede Form der Kommunikation verhinderten. Keine eng beschriebenen Zettelchen mit Befehlen an den Clan ließen sich dort hinauswerfen und nicht einmal mit Handzeichen Mitteilungen machen. Die einzigen Gesprächspartner waren wortkarge Gefängnisbeamte und die Anwälte, die sich nach erfolgter Verurteilung kaum mehr blicken ließen. Erst recht nicht Ernesto Galimberti, da er kein Honorar erwarten durfte. Unterberger war nach zwei Jahren so weichgekocht, dass er auspackte, worauf drei weitere Personen festgenommen wurden: ein Immobilienmakler, eine Steuerberaterin und ein Finanzpolizist der Dienststelle Meran. In den Medien hatte der Fall hohe Wellen geschlagen. Die nächsten drei Jahre verbrachte der Direktor in Anerkennung seines Geständnisses in einer Viererzelle und belegte ein Schulungsangebot zum Informatiker. Er brauchte dringend Training für sein logisches Denkvermögen, nachdem Poker zu spielen untersagt war und sich für die Schachpartien im ganzen Knast kein adäquater Gegner auftreiben ließ. Der zehn Jahre ältere Mimmo Oberdan, den er wegen dessen Haarpracht vom ersten Anblick an Arcangelo, den Erzengel, genannt hatte, wurde sein engster Freund, und auch Salvatore Cassara sollte er im normalen Strafvollzug kennenlernen. Kein einziges Mal war es ihm gelungen, Einstein beim Schach zu schlagen. Allerdings wurde dieser zwei Jahre vor Unterberger entlassen.
    Ganz selten wurde auch der Name des Direktors ausgerufen, wenn im Gefängnis die Post verteilt wurde. Wer sollte ihm schreiben? Mit den Eltern hatte er schon kurz nach dem Abitur gebrochen, weil diese bürgerlichen Spießer, als die er sie beschimpfte, seine politischen Neigungen nicht akzeptierten. Seine Geschäftsfreunde hatte er verpfiffen, und die Kameraden der rechtsextremen Splittergruppe hatten Unterberger zum Abschuss

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