Im eigenen Schatten
al Tagliamento und in der Gegend von Verona.
Laurentis Blick ruhte auf dem jungen Gesicht. Der Staatsanwalt war noch nicht einmal geboren, als die CIA in Zusammenarbeit mit der Nato, dem britischen MI6 und dem willfährigen italienischen Geheimdienst die »Strategie der Spannung« zur Verunsicherung breiter Teile der Bevölkerung inszeniert hatte, der Hunderte unschuldige Menschenleben zum Opfer fielen. Neofaschisten verübten die Bombenanschläge unter falscher Flagge, welche die Geheimdienste als Terror von links propagierten. Mit dem streng geheimen Stay-behind-Programm sollte angeblich die Demokratie in Westeuropa vor der vorrückenden kommunistischen Gefahr aus dem Osten geschützt werden. Mindestens einer der Rechtsextremisten hatte mehrfach finanzielle Zuwendungen aus Bayern erhalten, dessen Ministerpräsident Franz Josef Strauß dicke Geldpakte an europäische Rechtsextremisten verteilte, wie ein deutsches Nachrichtenmagazin im Fernsehen enthüllt hatte. Und es kam noch dicker: Bei den damaligen Ermittlungen hatte sich herausgestellt, dass italienische Neofaschisten zusammen mit einer deutschen Neonazi-Wehrsportgruppe und kroatischen Ustascha-Anhängern in einem Trainingslager im Bayrischen Wald geschult worden waren.
»Piazza Fontana in Mailand, die Attentate in Florenz, Rom, Piazza della Loggia in Brescia. Auch die unbeirrbaren Untersuchungsrichter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino wurden von der Mafia mit dem fast gleichen Sprengstoff ermordet – RDX oder Royal Demolition Explosive, dem Hauptbestandteil von C4. Und letztes Jahr, Sie erinnern sich, Dottor Lorusso, haben die Kollegen im Hafen von Gioia Tauro einen Container mit sieben Tonnen dieses Materials entdeckt, das vom Iran kam und nach Syrien sollte. Damit hätte man den ganzen Hafen in die Luft jagen können. Auch die Islamisten schätzen diesen Sprengstoff.«
»Beliebt wie Kinder-Schnitten.« Dämlich grinsend lehnte der Staatsanwalt sich zurück. »Das Teufelszeug wird also von allen verwendet. Und es sich zu besorgen, scheint auch kein Hexenwerk zu sein. Das bedeutet also noch gar nichts, Commissario. Weshalb diese Eile?«
»Spechtenhauser wurde schlicht und ergreifend abgemurkst, und zwar von einem Profi. Das ist kein Roman.« Sein Blick schweifte wieder über die Buchrücken im Regal. Laurenti hatte mit Mühe jedes dieser dünnen Bücher zu Ende gelesen: Märchen für Erwachsene, Morde aus kleinlicher Habgier oder Eifersucht. Stets in einer vordergründig heilen Familie angesiedelt, welche dank der Verhaftung der Übeltäter durch einen jungen Staatsanwalt aus einer gutsituierten Rechtsanwaltsfamilie in Apulien nie in Frage gestellt wurde. Die Realität gaben sie kaum wieder.
»Wir brauchen Durchsuchungsbefehle für sein Anwesen, Dottor Lorusso. Und zwar bevor jemand dort etwas verschwinden lassen kann. Wenn es nicht bereits zu spät ist.«
»Spechtenhauser kam vor über einer Woche zu Tode.« Der Staatsanwalt richtete sich abrupt in seinem Stuhl auf, sein Tonfall klang auf einmal sehr entschieden und den Nachnamen des Südtirolers sprach er fast so perfekt wie Xenia aus. »Genug Zeit zum Aufräumen. Warum haben Sie das nicht früher gefordert?«
»Bis gestern ging man davon aus, dass es ein Unfall war.«
»Glauben Sie etwa, dass der Mörder zur Familie gehört?«
»Können Sie es ausschließen, Staatsanwalt?«
»Das wird Staub aufwirbeln, darüber sind Sie sich doch hoffentlich im Klaren? Spechtenhauser war nicht irgendwer, und seine Angehörigen pflegen beste Verbindungen.«
»Wollen Sie sich von denen etwa Untätigkeit vorwerfen lassen?«
Lorusso kehrte in sich, dann rollte er sehr langsam mit seinem wackligen Schreibtischstuhl zum Nebentisch, auf dem der Computer stand, suchte unter einem Papierstapel nach der Tastatur und schaltete das Gerät fast widerwillig ein.
»Wann erscheint Ihr nächstes Buch, Dottor Lorusso?«, fragte Laurenti, um die Zeit zu überbrücken.
Der Blick des Staatsanwalts klärte sich, ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Ach, mein Lieber«, sagte er versöhnlich. »Das geht nicht von heut auf morgen. Ich weiß zwar, wer der Täter ist, kenne sein Motiv. Aber es zu schreiben, braucht seine Zeit. Da geht es ums Detail. Auf dem Ritten, wo es kühler ist, hätte ich daran arbeiten können. Wenn Sie mir das Wochenende nicht mit dieser Sache verdorben hätten, die meines Erachtens auch Zeit bis Montag gehabt hätte.« Lorusso griff zur Tastatur und rief die Vorlage für den Durchsuchungsbefehl
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