Im Feuer der Begierde: Roman (German Edition)
»Und wo wir gerade dabei sind: Ich will ihn sehen.«
Die Lippen des Vampirs zuckten. »Du bist nicht in der Position, Forderungen zu stellen, aber ja, er ist noch am Leben.«
»Du willst mich also nicht zu ihm bringen, schön«, antwortete ich einer Eingebung folgend. »Ich nehme an, du weißt, dass ich per Berührung Visionen empfangen kann, also nimm mir die Handschuhe ab und lass mich dich anfassen. Dann weiß ich, ob du die Wahrheit sagst.«
Der Vampir lachte in sich hinein, während ein grelleres Grün sich in seinen torfmoosfarbigen Augen ausbreitete. »Mich anfassen? Meinst du nicht eher, deine tödliche Elektropeitsche einsetzen, um mich in Stücke zu hauen?«
Ich fuhr zusammen. Woher wusste er das? Die meisten Leute, die gesehen hatten, wie ich meine Macht einsetzte, waren tot.
»Genau aus dem Grund sind deine Gummihandschuhe mit Klebeband befestigt«, fuhr er unverdrossen fort. »Nur für den Fall.«
»Wie heißt du noch mal?«, erkundigte ich mich, froh, dass meine Stimme beiläufig klang.
Die vollen Lippen des Mannes verzogen sich zu einem noch breiteren Grinsen. »Nenn mich Hannibal.«
Ich erwiderte sein Lächeln. »Okay, Hannibal, was soll ich machen? Meine Fähigkeiten einsetzen, um einen Feind von dir aufzuspüren? Dir sagen, ob jemand dich hintergeht? Oder die Vergangenheit aus einem Gegenstand lesen?«
Hannibal lachte, und obwohl es nicht unbedingt eiskalt, sondern eher nach Dr. Evil klang, war es doch bedrohlich genug, um mir einen Schauer über den Rücken zu jagen.
»Ich will gar nichts von dir, Vögelchen. Ich bin nur der Botenjunge. Mich interessiert nicht mal, bei wem ich dich abliefern soll. Ich weiß nur, dass du lebend dreimal so viel wert bist wie tot, aber wenn du irgendwelche krummen Dinger abziehst, bringst du mir tot immer noch ordentlich Kohle ein.«
Mit einem fröhlichen Winken verließ Hannibal den Raum. Ich sagte nichts, ganz darauf konzentriert, einen Ausweg aus dieser Zwickmühle zu finden. Ich würde mich nicht bei irgendeinem Fiesling abliefern lassen. Ich würde eine Lösung finden, und wenn ich dabei draufging.
Die Tatsache, dass ich eventuell mein Leben würde aufs Spiel setzen müssen, schreckte mich nicht ab. Nach allem, was passiert war, wollte ich lieber einen frühen Tod im Kampf sterben, als weiterzuleben und noch mehr bereuen zu müssen als jetzt schon.
Alle zehn Minuten sahen meine Entführer nach mir. Außer Hannibal zählte ich noch vier andere Gesichter, und wenn man sich die holzvertäfelten Wände, das große Bett, die Vorhänge am Fenster und anderen hübschen Details ansah, war klar, dass ihr unbekannter Auftraggeber einen Haufen Kies in der Einfahrt hatte. Wäre ich nicht an das Behindertengeländer gefesselt gewesen, hätte mir die Reise auf einem so schönen Schiff bestimmt Spaß gemacht.
Die Vorhänge vor dem einzigen Fenster waren zugezogen, da aber kein Licht durch die Ritzen drang, war es wohl noch Nacht. Hannibal hatte wohl die Wahrheit gesagt, als er mir erzählt hatte, ich wäre nicht lange ohnmächtig gewesen. Der Lake Michigan war von unserem Hotel aus das nächste größere Gewässer, größer sogar als manches Meer, sodass es noch eine gute Weile dauern konnte, bis wir unser Ziel erreichten. Vielleicht aber auch nur Minuten.
Deshalb konzentrierte ich mich angestrengt, versuchte, allen in mir fließenden Strom in meine rechte Hand zu lenken. Nach ein paar Augenblicken begann das immense Energiepotential sich anzufühlen wie eine Art Zacke. Ich drückte damit von innen gegen meinen Handschuh und suchte nach einem klitzekleinen Riss, durch den sich der Strom seinen Weg aus dem unförmigen Gummikäfig bahnen konnte.
Da war zwar nichts, aber ich würde trotzdem weitermachen. Besser, bei einem Fluchtversuch draufzugehen als mich wie ein Opferlamm an die Person ausliefern zu lassen, die mich tot oder lebend haben wollte. Ich hätte mich Hannibal nie ergeben dürfen, aber ich hatte ja keine Ahnung gehabt, dass er über das gesamte Ausmaß meiner Fähigkeiten Bescheid wusste, und immerhin hatte Maximus’ Leben auf dem Spiel gestanden.
Bestimmt ist er längst tot , wisperte meine fiese innere Stimme. Du hast dich für nichts geopfert!
Ich knirschte mit den Zähnen. Wie ich den dunklen Teil meines Selbst hasste, der mir ständig Versagen oder Sinnlosigkeit prophezeite. Egal, wie schlecht die Chancen standen, ich würde einen Ausweg finden.
Wieder konzentrierte ich mich auf meine rechte Hand, lenkte noch mehr Strom hinein. War die
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