Im Feuer der Begierde: Roman (German Edition)
keine Auszeit, und ich konnte mir das ebenso wenig erlauben.
Ich machte mir nicht die Mühe, leise zu sein. Sosehr ich es auch versuchte, einen Vampir, der wusste, was ihm blühte, konnte ich nicht überrumpeln. Meine einzige Waffe war meine rechte Hand, und die fühlte sich an wie eine Glühbirne, die beim nächsten Anschalten durchbrennen würde. Das Pochen ging weiter, es kam von unten, obwohl ich bereits unter Deck war.
Bei jedem Schaukeln des Schiffs fuhr ich zusammen und erwartete, es mit einem sechsten Angreifer zu tun zu bekommen. Die einzige Tür in dem engen Gang war voller Leichen, aber ich war nicht allein. Das fortwährende Rumsen war der Beweis.
Ich war bereits am Ende des Ganges angekommen, als es direkt unter meinem Fuß hämmerte. Ich fuhr zurück, und meine Hand schlug Funken, bevor mir die Luke im Boden auffiel.
Ein von außen verriegelter Laderaum. Ein Überraschungsangriff durch einen sechsten Bewacher drohte also nicht. Wieder hörte ich das Hämmern. Maximus, dachte ich und fiel vor Erleichterung auf die Knie. Ich entriegelte die Luke, riss sie auf … und machte große Augen.
»Bitte«, murmelte ein blutverschmiertes Mädchen. Es hatte die Augen geschlossen, und ich konnte noch weitere blutige Gestalten erkennen.
Ich wollte das Mädchen hochziehen, durfte es aber nicht anfassen. Selbst entkräftet, wie ich war, hatte ich noch genug Saft in mir, um ihr zu schaden, und sie sah jetzt schon aus wie der bleiche Tod. Hannibals Befehl an Stephen klang mir noch im Ohr. Fick doch einfach jemanden aus dem Frachtraum . Ich war nicht die einzige Ware, die Hannibal an Bord hatte.
»Alles wird gut.«
Die Wut verlieh meiner Stimme eine Stärke, die gar nicht mehr in mir war. Das Mädchen öffnete schwach die Augen.
»Wer bist du?«, murmelte es.
»Ich bin diejenige, die sämtliche Vampire auf diesem Schiff umgelegt hat«, verkündete ich. Jetzt, wo ich gesehen hatte, was im Frachtraum war, fand ich mein Tun nicht mehr abstoßend. Ich freute mich sogar, dass ich den fünften Bewacher in Stücke gerissen hatte.
Das Mädchen schenkte mir ein mattes Lächeln, das schließlich verblasste, und schloss die Augen. Ich rüttelte an der Tür, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen.
»Nicht. Du musst wach bleiben, und falls noch andere am Leben sind, musst du sie auch aufwecken. Sag mir, dass du das kapiert hast.«
Das Mädchen öffnete die Augen, deren Blau mich an Gretchens Augen erinnerte. Sie schien auch in ihrem Alter zu sein. Mein Zorn wuchs.
»Hab’s kapiert.« Damit begann sie, die Gestalt neben sich zu schütteln.
»Aufwachen, Janice. Hilfe ist unterwegs.«
Von neuer Entschlossenheit gepackt erhob ich mich. Sie hatte verdammt noch mal recht.
Dann öffnete ich jede Tür in dem winzigen Gang. Zwei gehörten zu Staukästen, eine führte zu einem Badezimmer, und die vierte …
Ich stürzte hinein. Maximus lag in einem winzigen Schlafzimmer auf dem Boden, den Mund mit Klebeband verschlossen. Von den Fußgelenken bis zum Hals war er mit etwas gefesselt, das aussah wie silberner Stacheldraht. Er war so eng um ihn geschlungen, dass er an manchen Stellen in sein Fleisch schnitt, als hätte er vergebens versucht, sich zu befreien.
Ich hätte mir die Finger abgesäbelt, wenn ich versucht hätte, das Zeug abzubekommen, doch das Klebeband über seinem Mund konnte ich lösen. Ich riss es herunter und gab ihm Klapse auf die Wangen, als er trotz allem nicht die Augen öffnete.
»Maximus, wach auf!«
Keine Regung. Hätte ich nicht gewusst, dass Vampire zu schrumpligen Kadavern wurden, wenn sie starben, hätte ich geschworen, es wäre bereits zu spät. Schließlich öffnete er quälend langsam die Augen.
Ich starrte ihn entsetzt an. Das Weiße war von grauen Linien durchzogen. Als ich genauer hinsah, merkte ich, dass seine Haut unter all dem verkrusteten Blut ähnliche Striemen aufwies.
»Sie haben das flüssige Silber nicht aus dir entfernt«, flüsterte ich.
Keine Antwort von Maximus. Er verdrehte die Augen und erbebte so heftig, dass der Draht ganze Fleischstücke aus ihm herausriss. Marty hatte mir erzählt, was mit einem Vampir passierte, der zu lange flüssiges Silber im Körper hatte. Umbringen würde es Maximus nicht. Die Folgen waren schlimmer: Es würde sein Gehirn schädigen, bis er dem Wahnsinn verfiel, und wenn es einmal so weit war, konnte es nicht mehr rückgängig gemacht werden. Selbst wenn ich ihn von dem Stacheldraht befreite, würde ihn das wahre Gift weiter von innen heraus
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