Im Feuer der Nacht
auf seinen Arm und sah ihm fest in die Augen. Lass es, formten ihre Lippen. Judd hatte ihr eben zwar nicht gerade sehr freundlich erklärt, dass sie falschlag, aber sie war sicher, dass er sie nicht hatte angreifen wollen.
Clay sah sie lange an, dann nickte er. Aber als sie sich wieder den anderen zuwandte, wusste sie genau, dass er vorhatte, mit Judd später ein Wörtchen zu reden. Sie musste zusehen, dass sie ihn vorher erwischte. Denn überraschenderweise schien Clay– dieser große, heftige und gefährliche Mann– auf sie zu hören. „Wer ist sie, dass der Rat ein so großes Interesse an ihr hat?“
„Sie heißt Ashaya Aleine“, sagte Judd und klang äußerst zufrieden. „Sie ist die leitende M-Mediale im Programm I. Wir haben schon vermutet, dass sie auf unserer Seite steht, aber solange sie mit dem Rat kooperierte, konnten wir ihr nicht trauen. Meiner Meinung nach können wir das immer noch nicht– denn wir wissen nicht, warum sie den Jungen da raushaben will.“
„Hat sie einen Zeitraum genannt?“, fragte Clay Dorian.
„Innerhalb der nächsten zwei Monate.“
„Die Einzelheiten können wir später noch besprechen“, sagte Clay. „Noor wird bald aufwachen, und wir müssen entscheiden, wie wir das Verschwinden der Kinder organisieren.“
„Kein Problem“, schaltete sich Lucas das erste Mal ein, Talin hörte das Alphatier heraus. „Noors Aussehen wird sich schon bald verändern. Bis dahin können wir sie mit Schminke unkenntlich machen. Sie wird sich auch an einen neuen Namen gewöhnen müssen. Vielleicht einen Spitznamen.“
„Es wird eine Weile dauern“, sagte Sascha, „aber sie ist jung genug, um es bald ganz normal zu finden. Jon wird die Entscheidung selbst treffen müssen.“
„Ich denke, es ist okay für ihn“, sagte Talin und spürte einen Kloß im Hals bei dem Gedanken an die Zukunft, die nun für Jon in greifbarer Nähe lag. „Und er wächst noch. In einem Jahr wird er größer sein, sein ganzer Körper wird sich verändert haben. Dann wird er sich rasieren müssen.“
„Sag ihm, er soll sich das Tattoo weglasern lassen.“ Tamsyn verzog das Gesicht. „Es verrät ihn.“
Talin musste ihr zustimmen. „Es fällt auf. Genau wie sein Haar.“
Clay grunzte. „Dann wird er es eben abschneiden.“
Talin wollte ihm widersprechen, ließ es aber dann doch bleiben. Wahrscheinlich würde Jon sich die schulterlangen Haare abschneiden lassen, ohne auch nur einen Piep von sich zu geben– er zeigte schon die ersten Anzeichen von Heldenverehrung und schien ziemlich an Clay zu hängen. Genau wie Noor. Talin hatte eine Vermutung, warum das so war: Sie hatten den tiefen Beschützerinstinkt in Clay erkannt.
Sie wandte sich um, um ihn zu umarmen. Er drückte ihr abwesend einen Kuss aufs Haar, und in diesem Augenblick war alles in Ordnung. Die Medialen waren nicht mehr auf der Jagd nach unschuldigen Kindern, sie starb nicht mehr einen langsamen Tod durch diese Krankheit, die sich in ihren Zellen eingenistet hatte, und Clay vertraute ihr voll und ganz.
Ein paar Stunden später stand Clay im Garten und beobachtete Talin, die mit den Kindern redete. Als Dorian herankam, verlor er keine Zeit. „Was hast du vor den anderen verschwiegen?“
Der blonde Wächter kreuzte die Arme über der Brust. „Woher weißt du das?“
„Ich bin älter und weiser, du Wunderknabe.“
„Hör auf damit.“ Dorian warf einen finsteren Blick in Talins Richtung. „Ich schwöre dir, wenn dieser Spitzname die Runde macht, schnappe ich mir deine Tally und stopfe sie in den nächsten eisigen Fluss.“
„Dann müsste ich dich zusammenschlagen.“
„Mal langsam! Ich trainiere regelmäßig mit einem medialen Auftragskiller und bin noch am Leben.“ Dorian ließ sein Messer wie üblich durch die Finger schnellen. „Ashaya hat mir noch etwas gesagt, von dem du sicher nicht willst, dass Talin es hört.“
Clay sah, wie Sascha aus dem Haus kam und auf Talin zuging. Zum ersten Mal wurde ihm klar, wie froh er darüber war, dass Sascha zum Rudel gehörte. Ohne sie hätten sie vielleicht Dorian nach dem Mord an seiner Schwester für immer verloren. Der Wächter, der mit Talin scherzte, war nicht mehr derselbe, der damals Sascha die Kehle aufschlitzen wollte.
Clay hoffte, dass die Gefährtin seines Alphatiers Jon und Noor ebenfalls helfen konnte, wusste aber aus eigener Erfahrung, dass selbst diese begnadete Empathin nicht alles heilen konnte. Doch Tally war zu ihm zurückgekehrt. Er war in Gefahr gewesen, so
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