Im Feuer der Nacht
daran gewöhnen würde wie an die Fähigkeit der Gestaltwandler, ihre Stimmungen zu riechen.
„Also, Dorian“, sagte Clay in das Schweigen hinein, „fang an.“
„In Ordnung.“ Dorian sah Judd an. „Es bezieht sich auf die Informationen, die du uns gegeben hast.“
Judds Gesichtsausdruck wurde eisig. „Das war nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.“
„Der Standort ist immer noch hermetisch abgeschirmt“, sagte Clay und sah Judd in die Augen, zwei Raubtiere, die einander maßen. „Aber wir haben jetzt ein neues Problem.“
Spannung lag in der Luft, bis Judd schließlich nickte. „Ich höre.“
Militärisch knapp schilderte Dorian die Ereignisse, die zur Rettung der beiden Kinder geführt hatten. Dann erzählte er ihnen von der Frau, der er von der Hütte aus gefolgt war. „Unser Kontakt.“
„Sie ist dageblieben, um sich zu vergewissern, dass es den Kindern gut geht.“ Talin war nicht weiter überrascht.
Dorian nickte. „Das glaube ich auch– sie ging zu einem versteckten Eingang.“ Er lächelte, weil Judd plötzlich aufmerkte. „Sie sagte, sie sei gegen das Implantationsprogramm, aber man habe sie zur Mitarbeit gezwungen, weil sie die Beste sei.“
Judds Augen leuchteten auf. „Wie sah sie aus?“
„Eine Haut wie heiße Schokolade, dunkle Haare, groß, alles dran, was eine Frau haben muss, helle Augen– die Farbe konnte ich aus der Entfernung nicht sehen. Kannst du damit was anfangen?“
Talin wunderte sich, wie sinnlich Dorian die Frau beschrieb, aber niemand anders schien es aufzufallen. Judds Antwort auf diese Beschreibung kam allerdings prompt. „Ja. Was hat sie noch gesagt?“
„Als Gegenleistung für die Rettung von Jon und Noor will sie, dass wir ihren Sohn entführen. Der Junge– er heißt Keenan– wird vom Rat als Geisel festgehalten, damit sie keine Dummheiten macht.“
Um den Tisch herum ertönte lautes Knurren. Wenn Talin nicht schon längst gewusst hätte, wie weit diese Leute gehen würden, um ihre Kinder zu beschützen, hätte sie diese Reaktion vielleicht überrascht.
Sascha, die immer noch Lucas’ Hand hielt, rutschte auf ihrem Stuhl vor. „Warum? Was hat ihr Verhalten mit dem Kind zu tun?“
Mercy verschluckte sich fast an ihrem Muffin. „Ist ihr Kleiner. Das ist doch Grund genug.“
„Nein.“ Sascha schüttelte den Kopf. „Nicht für Mediale.“
„Mediale fühlen nicht“, stimmte Tamsyn zu, „deshalb kann es keine emotionale Bindung geben.“
„Vielleicht aber doch“, sagte Sascha nachdenklich. „Wir wissen nichts über diese Frau– vielleicht steht sie kurz davor, mit Silentium zu brechen.“
„Ich hab Frostbeulen bei unserer Unterhaltung bekommen“, murmelte Dorian. „Ihr könnt es mir glauben– die ist emotional ein wahrer Eisschrank. Aber es stimmt, was sie über den Jungen gesagt hat. Er ist vier und befindet sich tatsächlich in den Händen des Rates.“
„Wir müssen ihm helfen“, mischte sich Talin ein. Auch wenn sie sich hier bei den mächtigsten Leuten in San Francisco befand, sie war schließlich kein Hasenfuß. Und sie besaß die Unterstützung ihres starken Leoparden. „Ganz gleichgültig aus welchen Beweggründen, sie hat Jon und Noor freigelassen.“
Clay zog sie an sich, aber sie konnte sich nicht erklären, warum er so angespannt war. „Es gibt da ein Problem“, sagte er leise.
„Das Medialnet“, murmelte Judd. „Der Junge wird ein anderes neurales Netzwerk brauchen.“
„Ich habe keine Ahnung, wie ich jemanden mit unserem Netzwerk verbinden kann und ob es überhaupt möglich ist“, sagte Sascha und runzelte die Stirn. „Eures ist jedenfalls nicht stabil genug.“
Judd sah nachdenklich aus. „Es ist durch meine Verbindung mit Brenna stärker geworden. Siennas Verbindung ist weiterhin schwankend, wenngleich inzwischen besser als zu der Zeit, als wir uns überlegten, dich aufzunehmen. Es könnte klappen. Wir müssen sein Gehirn damit verbinden und gleichzeitig die alte Verbindung zum Medialnet trennen.“
„Das klingt, als würde es wehtun“, sagte Talin.
Judd sah sie an. „Ja, es fühlt sich an, als würde man sterben. Aber wenn wir es nicht tun, spüren sie ihn in Sekundenschnelle auf. Und wenn der Rat der Meinung ist, seine Schmerzen hätten einen Einfluss auf seine Mutter, werden sie ihm wieder und wieder Schmerzen bereiten.“ Er klang nicht aggressiv, sondern so unbeteiligt und kalt, dass Talin schauderte. Als sie spürte, dass Clays Körper sich zum Angriff bereit machte, legte sie die Hand
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