Im Feuer der Nacht
Der Leopard in ihm war auch nicht gerade begeistert.
Auf seinem Weg nach unten hörte er die Ratten flüstern. Sie huschten fort, überließen es ihrem Anführer, sich dem Raubtier zu stellen, das in ihr Zuhause eingedrungen war. Niemand würde Clay angreifen, das wusste er– die DarkRiver-Leoparden behielten die Bewohner der Unterwelt im Auge, und die meisten Ratten waren menschliche Außenseiter, die sich zu einem bunten Rudel zusammengefunden hatten. Ratten war eigentlich eine falsche Bezeichnung. Nur drei der Unterweltler waren tatsächlich Gestaltwandler.
Nun trat einer von ihnen aus dem Dunkel auf Clay zu. „Du hast keine Erlaubnis, hier zu sein. Hau ab.“ Er zeigte seine rasiermesserscharfen Zähne.
„Hör auf mit dem Theater, Teijan.“ Clay kreuzte die Arme vor der Brust und lehnte sich mit dem Rücken an die Tunnelwand.
„Clay?“ Teijan kam noch einen Schritt näher. „Ich habe dich gar nicht erkannt– du riechst sehr nach Mensch.“
Ratten hatten einen äußerst feinen Geruchssinn, deshalb glaubte Clay Teijan aufs Wort. Doch er war überrascht. Normalerweise musste ein Mann eine starke sexuelle Beziehung zu einer Frau haben, um so deutlich ihr Zeichen zu tragen. Aber Talin und er waren seit Kindertagen miteinander verbunden. Den Leoparden beunruhigte das nicht– er mochte den Gedanken, Tally so nah zu sein. „Wie steht’s in deinem Reich?“
Teijans fast schwarze Augen huschten hin und her, in der Oberwelt hätte das auf Hinterlist schließen lassen. Aber in den Tunneln hatte dieser Blick eine differenziertere Bedeutung. „Meinst du nicht eigentlich ‚Wie steht’s in dem Reich, das Lucas duldet‘?“
Clay zuckte mit den Schultern. „Ihr habt keinen festen Status, weil ihr euch weigert, den DarkRiver-Leoparden völlige Bündnistreue zu schwören.“ In der Welt der Raubtiergestaltwandler war kein Platz für Zwischentöne. Es gab Verbündete und Feinde. Die wenigen Grauzonen waren dünn gesät.
Teijans fahrige Bewegungen erinnerten an seine tierische Gestalt. „Du weißt, warum wir zögern– wenn wir den Bund mit den Leoparden eingehen, sind wir durch das Blutsbündnis automatisch mit den SnowDancer-Wölfen verbunden. Und sowohl die Leoparden als auch die Wölfe stellen sich gern als Zielscheiben hin.“
„Wir benutzen weder friedliche Gestaltwandler noch Menschen als Kanonenfutter“, antwortete Clay, der eine Veränderung in Teijans Haltung gespürt hatte.
„Ratten gehören nicht unbedingt zu den friedlichen Gestaltwandlern.“ Teijan fletschte die Zähne.
„Aber ihr wärt auch nicht als Kolonie stark genug, San Francisco zu beherrschen.“ Diese Tatsache ergab sich aus den unterschiedlichen körperlichen Voraussetzungen ihrer Tiere und der natürlichen Nahrungskette. „Wir werden die Unterwelt absperren, Teijan. Ihr habt noch vier Wochen, um euch zu entscheiden. Werdet unsere Verbündete oder verlasst die Stadt.“
Vor dem verheerenden, vom Rat der Medialen gesteuerten Angriff auf einen anderen Verbündeten der Leoparden– eine Herde von Hirschen– hatten sie die Ratten für zu schwach gehalten, um sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Nun waren sie zu einer möglichen Verstärkung oder permanenten Belastung geworden– die Tunnel mussten überwacht werden, für den Fall, dass aus dem Kalten Krieg mit den Medialen ein heißer wurde. Aber solange die Ratten keine Bündnistreue schworen, konnte man ihnen nicht vertrauen.
„Wir haben hier schon geherrscht, bevor es die DarkRiver-Leoparden gab“, schnauzte Teijan.
„Das stimmt nicht. Ihr habt nur die Unterwelt abgedeckt, während die Medialen die Oberwelt ihr Eigen nannten“, gab Clay ohne Mitleid zurück. „Ihr seid keine Gegner für uns.“ Ein Mensch hätte so etwas vielleicht als Demütigung angesehen, aber Gestaltwandler erkannten die Dominanz einer anderen Gattung.
„Wenn wir uns nun bereitfinden“, fuhr Teijan fort, „den Bündnisschwur abzulegen, müssen wir euch dann helfen, wenn ihr uns ruft? Müssen wir auch den Wölfen helfen?“
„Ja. Wir kommen euch im Gegenzug ja auch zu Hilfe.“
Teijan zögerte. „Die Katze schützt die Maus?“
Clay grinste. „Solange die Maus nicht versucht, die Katze zu beißen.“ Verrat würde man nicht tolerieren.
Teijans Augen glühten auf. „Dann sollte ich mich vielleicht doch mal mit Lucas unterhalten.“
„Ich werde ihm Bescheid sagen.“ Clay griff in seine Hosentasche und zog das Bild von Jonquil heraus. „Jetzt muss ich dich um einen Gefallen bitten. Zeig
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