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Im finsteren Wald

Im finsteren Wald

Titel: Im finsteren Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heiko Grießbach
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führen lassen. Das Neugeborene interessierte sie ungemein, sie konnte kaum den Blick von dem Säugling lassen. Ob sie noch unter Schock stand, konnte Thomas nicht sagen. Ob die Essensverweigerung der Mutter Sinn machte, auch nicht. Was machte in dieser Irrenhaushöhle schon Sinn, dachte er, es zählte nur, zu überleben.
    Irgendwann schreckte Thomas auf, als die meisten der Frauen zusammen hockten und miteinander sprachen. Er verstand nur einzelne Worte und konnte nicht erraten, worum es ging, sie schienen eine eigene Sprache mit wenigen, kehlig-abgehackten Wörtern entwickelt zu haben, die nicht mehr viele normale deutsche Begriffe und kaum noch Grammatik enthielt. Aber so, wie sie zusammen saßen und palaverten, Blicke zu ihm, der Frau und dem Mädchen warfen und gestikulierten, konnte es um nichts Gutes gehen. Ein ungutes Gefühl überkam ihn, er sollte der Nächste sein! Er durfte nicht noch mehr Zeit mit Dösen verplempern, er musste die Stricke lösen! Mit Blicken durchbohrte er die abartigen Gestalten, die zu diskutieren schienen, wie sie ihn am Schmackhaftesten zubereiten konnten.
    ‚Normal ist doch keine von denen, verdammt‘, dachte er. Doch vorerst geschah nichts weiter, sie ließen ihn noch in Ruhe. Trotzdem spürte er, wie ihm am ganzen Körper der Schweiß ausbrach. Er konnte förmlich fühlen, wie sich etwas in seinem Inneren veränderte. Ein winziges Fünkchen Wahnsinn glomm in seinem Hirn auf und wollte wachsen, größer werden, wie ein Glutpunkt im Feuer, in das ein Windstoß blies. Ein irres Kichern löste sich aus Thomas‘ Kehle, dann bekam er sich wieder unter Kontrolle, doch es fiel ihm nicht leicht. Sein Verstand weigerte sich weiterhin, das Geschehen als Realität zu akzeptieren. Leichter wäre es ihm gefallen, zu glauben, durch einen Zeitsprung unter eine Horde Neandertaler geraten zu sein, als 2013 in Deutschland in einer unbekannten, unentdeckten Höhle gefangen gehalten zu werden und womöglich ausgeweidet als Trockenfleisch zu enden.
    Die Mutter des Mädchens begann auf einmal zu toben, soweit es ihr möglich war. Hysterisch schrie sie unter dem Knebel, kämpfte gegen ihre Fesseln an, rollte sich über den Boden und ignorierte die Rufe der Frauen, die bald zu Schreien wurden.
    Mehrere Frauen kamen zu ihr und versetzten ihr Hiebe und Schläge, die sie zur Vernunft bringen sollten, doch die Tobende bemerkte sie gar nicht. Die Frauen verloren die Geduld und prügelten auf die Gefesselte ein. Fäuste trafen sie überall am Körper, sie bekam Tritte in den Magen, in die Rippen, die ihr die Luft aus den Lungen pressten. Ein Tritt ins Gesicht brach ihr das Nasenbein, Blut lief über den Fellknebel. Ein weiterer Tritt traf sie am Auge, die Braue platzte auf, noch mehr Blut floss.
    Thomas schaute mit Grausen hin, die Frauen steigerten sich in einen regelrechten Blutrausch hinein. Er konnte nicht tatenlos zusehen und rief: „Hey, hallo? Wartet doch mal, okay? Lasst sie einen Moment, dann beruhigt sie sich schon wieder und liegt weiter still. Gebt ihr einen Moment Zeit, ja?“
    Er wusste, er sprach sinnloses Zeug, doch ihm fiel nichts anderes ein. Seine Worte fanden keinerlei Beachtung. Die Frauen schlugen und prügelten auf die wehrlose, gefesselte Gefangene ein, verletzten sie stärker, eine drosch mit einem Knochen auf den Kopf, eine andere stach mit einem spitzen Ast zu, Blut schoss aus Wunden.
    Nur die Rothaarige fiel Thomas auf, sie hielt sich zurück und schaute eher entsetzt zu. Das Mädchen wand sich jetzt auch und gab unter dem Knebel gedämpftschrille Geräusche von sich. Für sie musste es eine Qual sein, ihre Mutter so sehen zu müssen.
    Die Frauen traten nun gegen die Brüste, den Unterleib, den Hals, die arme Frau krümmte sich blutüberströmt, sie müsste längst das Bewußtsein verloren haben, doch sie kämpfte weiter und in einer schier unmenschlichen Anstrengung zerriss sie die Stricke um die Handgelenke. Sie versuchte, sich aufzurichten und erhielt einen wuchtigen Tritt mitten ins Gesicht, der sie zu Boden warf, wo sie reglos liegenblieb. Die Frauen schleiften sie nach draußen. Geräusche, die Thomas an einen Metzger erinnerten, bei dem er einmal gewesen war, als dieser ein Eisbein zerhackte, sagten Thomas, dass nun nur noch das Mädchen und er übrig waren. Die Kleine presste die Augen fest zusammen und atmete unregelmäßig und stockend. Sie tat Thomas leid, wenn ihm die Flucht gelang, und daran glaubte er fest, um nicht durchzudrehen, würde er sie mitzunehmen. Und

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