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Im finsteren Wald

Im finsteren Wald

Titel: Im finsteren Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heiko Grießbach
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sollte nun er an die Reihe kommen! So weit durfte er es nicht kommen lassen, dachte er entsetzt, drehte sich mit dem Rücken zur Höhle und begann, an der Fessel zu nagen. Er würde es schaffen, er würde hier heraus kommen.
    Er hörte die Alte noch etwas zu dem Mädchen sagen: „Du denken, entscheiden, bleiben oder nicht.“
    Der Rest des Tages verging schleppend langsam, die Schwangere rührte sich und schien leichte Wehen zu bekommen, die sich allmählich verstärkten. Die zwei Mädchen, das, das ihn verletzt hatte und das andere, es sah etwa zwei Jahre älter aus, schienen sich zu langweilen. Sie ärgerten ihn mit einem Ast, mit dem sie ihn immer wieder anstießen oder auf seinen Kopf schlugen, doch Thomas ließ sich nicht provozieren. Solange sie kein Messer zur Hand nahmen, sah er keine Gefahr für sich und sein Leben von ihnen ausgehen. Die andere Gefahr, gefressen zu werden, war viel realer und er arbeitete verbissen, beinahe hektisch an seiner Befreiung. Außerdem war er der Meinung, wenn er nicht reagierte, machte er sich für sie uninteressant und sie ließen ihn bald in Ruhe.
    Sein Plan ging auf, sie holten sich einen Totenschädel und spielten mit ihm in der Höhle Fußball. Nicht lange und sie rempelten sich heftiger an und gerieten in Streit. Mit Händen und Füßen begannen sie sich zu prügeln. Die Ältere und Kräftigere von Ihnen rannte los und kam mit einem menschlichen Oberschenkelknochen zurück, den sie der Kleinen über die Stirn hieb. Kreischend balgten sie sich, es krachte und klatschte, es flogen regelrecht die Fetzen. Die Frauen wurden ärgerlich, riefen etwas und jagten beide aus der Höhle.
    Am Abend gab es den Pinkelgang, das Messer verhinderte jedoch jegliche Gegenwehr. Thomas hielt die Arme so, dass die fast durchgebissenen Stricke nicht gesehen wurden. Anschließend wurde wieder Brei zum essen gereicht, der ohne Salz und Gewürze widerlich schmeckte. Kaum war der Knebel vom Mund der Mutter, sprach sie erneut, ihre Stimme klang heiser und flehentlich. „Bitte, wo ist mein Mann? Was haben Sie mit ihm gemacht? Lassen Sie uns gehen, bitte! Bitte!“
    Die Frauen hörten ihr zu, ob sie verstanden, was die Mutter sagte, blieb unklar, da sich ihre Minen nicht veränderten. Die Gefangene musste Essen und bekam wieder das Fell in den Mund, obwohl sie sich heftig wehrte und den Kopf hin und her warf. Die wilde Sippe beeindruckte das nicht, sie legte sich früh schlafen. Doch lange hielt die Ruhe nicht an, denn nun ging es los. Das Baby wollte kommen. Die Frauen sprangen wieder auf und versammelten sich um die Schwangere, die sich am Boden wand und stöhnte. Das Feuer wurde wieder angefacht und spendete flackerndes Licht. Eine der Frauen, die Rothaarige, ließ immer wieder den Blick zu Thomas wandern, sie schien Gefallen an ihn gefunden zu haben. Thomas war das gar nicht recht, er musste aufpassen, dass sie seine Befreiungsversuche nicht bemerkte.
    Es musste Thomas‘ Meinung nach bereits nahender Morgen sein, als das Baby endlich kam. Die Schreie der Schwangeren wurden unerträglich laut, schrill, dann erschien ein kleiner Schreihals auf der Welt und verkündete, nun auch da zu sein.
    ‚Willkommen‘, dachte Thomas sarkastisch. ‚Da hast du dir ja eine feine Gesellschaft ausgesucht. Kannst froh sein, wenn du nicht im Kochtopf landest!‘ Ihn schüttelte es und er erschrak über seinen eigenen Gedanken, war er schon so abgestumpft?
    Die Alte zerriss die Nabelschnur und verknotete sie erst bei der Mutter und dann beim Kind, dann schaffte sie das Neugeborene hinaus zum Waschen. Sie kam bald zurück und hielt es, nun in Felle gewickelt, hoch und lachte.
    „Mädchen!“ rief sie und gab es der Mutter, die erschöpft eingeschlafen war in die Hände. Sie wachte auf und reichte dem neuen Leben die Brust. Die Frauen freuten sich, tätschelten jede einmal Mutter und Kind, strahlte sie und sich gegenseitig an, dann kehrte langsam wieder Ruhe ein und sie schliefen noch ein paar Stunden.

 
     
    20
    1704
    Hartmut saß auf einem Stein am Waldrand und genoss die Sonne. Er blinzelte in das grelle Licht und schloss erneut die Augen. Die Luft roch frisch und nach Blumendüften. Der Frühlingstag näherte sich dem Abend, die Sonne wärmte nur noch wenig, doch nach der langen kalten Winterzeit war noch immer jeder Tag mit Sonnenschein ein Freudentag. Die Natur erblühte, den Waldrand zierten bunte Tupfen von wilden Krokussen, Walderdbeeren und anderen Blumen. Sie wetteiferten um Insekten und bettelten darum,

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