Im finsteren Wald
bedeckte den Oberkörper des Mannes bis zum Schritt. Das Gesicht verzogen, keuchte er nach Atem. Als er Werner erblickte, wollte er etwas sagen, doch er brachte kein Wort heraus.
Dann hörte Werner, dass dem seltsamen Paar etwas folgte. ‚Ah, die Wildschweinhorde‘, dachte ein Teil von ihm, der sich nicht wunderte und weiter klar zu denken versuchte.
Der Mann und die Frau, die ihn eigenartig anstarrte, hatten ihn beinahe erreicht.
„Langsam, es ist gut“, sprach Werner beruhigend. „Ich werde ihnen helfen, sie brauchen keine Angst mehr zu haben, in Ordnung? Was verfolgt Sie? Ich bin Polizist, mein Name ...“
Schreie und Johlen brauste heran, eine wilde Meute brach zwischen den Bäumen hindurch. Werner traute seinen Augen nicht. Keine Wildschweine kamen auf sie zu, sondern fellbekleidete Frauen rannten wie wilde Amazonen und sahen schrecklich aus. Normalerweise brachte Werner nichts aus der Ruhe, wofür ihn Lars bewunderte, doch nun verlor er die Fassung und wurde bleich.
„Aus!“, schrie er, als näherte sich eine Hundemeute. „Aus und stop! Stehenbleiben!“
Als die Verfolgerinnen nicht hielten, rief er noch einmal: „Ich bin Polizist, bleiben Sie stehen, sofort!“
Er richtete die Pistole in den Himmel und drückte ab. Der laute Knall des Schusses und sein Anblick brachten die absonderlichen Gestalten zum Halten, als wären sie gegen eine Betonwand gelaufen. Keuchend, fauchend, schreiend drehten sie sich herum und verschwanden wieder zwischen den Bäumen.
Werner stand da und glotzte nur. Er wischte sich mit zitternder Hand den Schweiß von der Stirn und sagte mit unsicherer, hoher Stimme: „Was war denn das? Was um Himmels Willen war das??“
35
28 Monate später.
Tina war nach der Rettung traumatisiert zusammen gebrochen. Sie kam erst in einem Krankenhaus wieder zu sich und bekam kurze Zeit später psychatrische Betreuung. Körperlich hatte sie keine Verletzungen davongetragen, ihr Psyche war allerdings beschädigt worden. Es gelang nach und nach mit professioneller Hilfe, ihr Trauma zu überwinden. Nachdem sich ihr Zustand stabilisiert hatte, musste sie mehrere Monate in einer psychologisch betreuten Wohngruppe leben, dann stand die Entscheidung an, in ein Heim zu kommen oder Pflegeeltern für sie zu finden. Mit vierzehn Jahren durfte sie noch nicht allein wohnen und Angehörige besaß sie keine mehr, sie war zur Vollwaisen geworden.
Thomas durfte sie oft besuchen. Es war ihm gelungen, den Schock zu überwinden und das Erlebte zu verdrängen. Er ordnete sein Leben neu, fand einen gut bezahlten Job und eine größere Wohnung. Nach und nach bekam er wieder ein inneres Gleichgewicht. Von Anfang an hatte er sich um einen engen Kontakt zu Tina bemüht, die wie er so viel durchmachen musste und ihre Eltern verloren hatte.
Sein Bemühen, das Mädchen zu adoptieren hätte wenig Aussicht auf Erfolg gehabt, da er als Alleinstehender dem Teenager keine vollwertige Familie bieten konnte. Doch die besonderen Umstände, die ihn und Tina emotional zusammengeschweißt und ein enges Vertrauensverhältnis zwischen ihnen hervorgebracht hatten, sprachen für ihn und gaben seinem Bestreben Aussicht auf Erfolg.
Rothaar war intensiv physisch und psychisch untersucht und für schuldunfähig erklärt worden. Sie kam in eine geschlossene psychatrische Einrichtung, wo sie umfassend betreut wurde. Sie lernte das Leben in der Zivilisation und dessen Regeln. Sie lernte schnell. Thomas, der Kontakt zu ihr halten und sie oft besuchen durfte, half ihr dabei, so gut es ihm möglich war und er tat es gern. Er hegte keinen Groll gegen sie und verurteilte sie nicht für ihr bisheriges Leben oder Tun.
Durch den Medienrummel aufmerksam geworden, meldete sich Thomas' Exfreundin Susanne bei ihm und wollte die Beziehung noch einmal neu beginnen, aber er lehnte ab. Emotional hatte er sich meilenweit von ihr entfernt und kein Interesse mehr, mit ihr einen Neuanfang zu versuchen. Er entwickelte immer intensivere Gefühle für Ronja, wie sich Rothaar nun offiziell nannte. Ein Grund dafür war, dass sie ihm das Leben gerettet hatte, ein weiterer Grund war, dass ihn die ‚Wildkatze‘, wie er sie nannte, verzaubert und bezaubert hatte. Die langen Gespräche, die sie führten, nachdem Ronja erstaunlich schnell normales Deutsch gelernt hatte, taten ein Übriges, ihre Beziehung zu vertiefen.
Als Ronja erst tageweise, dann auch für mehrere Tage die Einrichtung verlassen durfte, verbrachte sie diese Zeit mit Thomas und sie
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