Im finsteren Wald
ist eingeschlafen, so wie du wieder einmal. Denkst du, einmal drüberrollen und schnarch reicht mir? Ich kann so nicht mehr leben und will es auch nicht. Eine Frau hat Ansprüche, will mehr, ich will mehr.“
Sie hatte sich in Rage geredet, während Thomas nur dasaß wie ein begossener Pudel. Krampfhaft überlegte er, was er sagen sollte. So ganz unrecht hatte sie nicht, das war ihm klar.
„Wie müssen Geduld haben, es kommen bald bessere Zeiten“, sagte er lahm. „Es muss sich entwickeln. Wenn ich erst ein paar richtig gute Artikel herausgebracht habe, dann ...“
„Ja, wenn ... Es muss sich entwickeln? Das tut es schon viel zu lange! Nein, das bringt nichts.“ Sie sprang auf. „Dann entwickel mal weiter, aber ohne mich! Ich ziehe zu meiner Mutter. Meine Sachen hole ich später, ich lege dir deinen Schlüssel dann auf den Tisch. Mach’s gut.“
Sie war weg und Thomas brauchte lange, um zu begreifen, was das hieß. Susanne machte nie halbe Sachen und wenn sie etwas sagte, tat sie das auch. Ab sofort konnte er sich wieder als solo betrachten.
Er brauchte Urlaub! Etwas Abstand würde ihm helfen, sein Leben neu zu ordnen, und er konnte die Zeit sinnvoll nutzen. Er würde es allen zeigen und morgen in die Thüringer Provinz aufbrechen, um eine sensationelle Story zu suchen. Bei dem Gedanken lachte er laut auf. Ebensogut konnte er dort unten nach Gold suchen oder Vampire jagen, um sie vor die Kamera zu bekommen. Mürrisch schaute er aus dem Fenster und ließ den Blick über die Marzahner Plattenbauten schweifen. In einem dieser Betonsilos lebte er nun seit Jahren, aber er kam zurecht, es gefiel ihm hier.
„Ja, ich zeige es euch!“, rief er ins Nichts und leerte seine Tasse Morgenteer.
Er interessierte sich für die Geschichte des Mittelalters und im Hainich, im Norden des waldreichen und bergigen Bundeslandes sollte es eine Menge alter Sagen und Legenden geben, soviel hatte er im Internet erfahren. Er hatte schon länger etwas über alte Geschichten dieser Gegend schreiben wollen. Jetzt konnte er das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden, ein paar Tage blau machen und sich dort unten in aller Ruhe umsehen.
Eine Legende hatte ihm besonders gefallen. Es hieß, im Mittelalter, als der Dreißigjährige Krieg wütete, gab es nahe Kammerforst ein Dorf. Bei Nacht und Nebel wurde Bechstedt dem Erdboden gleichgemacht und alle Bewohner niedergemetzelt. Bis heute hielt sich die Sage des verschwundenen Dorfes in den Überlieferungen der Umgebung. Der Grund für die Zerstörung des Ortes und die Bestrafungsaktion war das Verhalten der Einwohner gewesen. Diese wollten die Glocken der dorfeigenen Kirche schützen und verstecken, sie versenkten sie im Glockenbrunnen am Anger. Damals wurde von den kaiserlichen Truppen alles eingeschmolzen und zu Kanonen umgearbeitet, was sie bekommen konnten. Ihr Kirchengeläut wollten die Dorfbewohner aber nicht hergeben, wofür sie tödlich hart bestraft wurden.
Die Siedlung baute man nicht wieder auf, es hieß, die Glocken konnten nie gefunden werden und bis heute zog die Gegend jedes Jahr Schatzsucher an, die nach den verschollenen Glocken suchten und hofften, sie zu finden. Mancher der Glücksritter verschwand bei der Suche auf Nimmerwiedersehen.
Um die alte Legende rankten sich viele Gerüchte und Thomas hoffte, vor Ort mehr Informationen zu bekommen und schöne Fotos schießen zu können. Ungebunden und frei brauchte er auf niemanden Rücksicht nehmen, keinen Urlaub einreichen oder sich abmelden, er konnte sich ins Auto setzen und losfahren.
Die Fahrt hatte er sich kürzer vorgestellt und vor allem das letzte Stück forderte von ihm und dem Vectra alles ab. Nach dem Studium, als er der Meinung war, nun das große Geld zu verdienen, hatte er sich den Wagen zugelegt. Als angesagter Journalist wollte er nicht mit einem Kleinwagen vor Zeitungsverlagen oder Schauplätzen sensationeller Ereignisse vorfahren. Als die Honorare entgegen seiner Erwartung sehr bescheiden ausfielen und die großen Aufträge auf sich warten ließen, hatte er den Wagen trotzdem behalten.
In Kammerforst, am Nordrand des Hainichs, nahm er ein Zimmer in einer Privatpension, das er im Internet noch schnell gebucht hatte, als er sich die Fahrtroute anschaute. Von hier wollte er mit den Recherchen beginnen. Seine Gastgeber, Ernst Huber, der langsam und vornüber gebeugt dahinschlurfte, und seine Frau Elfriede bewohnten ein altes Haus, dessen einstige hellgraue Farbe eine Ockertönung angenommen hatte. Die Frau
Weitere Kostenlose Bücher