Im finsteren Wald
aufzutreten. Natürlich knackten trotzdem Äste und raschelte Laub. Peter zeigte hier und da auf etwas und flüsterte die Namen der Bäume oder Pflanzen. Rote Tupfen im Moos stellten sich als Fliegenpilze heraus.
Nach gefühlten Stunden, tatsächlich war erst eine halbe Stunde vergangen, musste Tina mal, sie entfernte sich und schlug sich in die Büsche. Peter und Karin gingen langsam weiter.
„Ich muss auch bald mal“, sagte Karin. „Ich will mich aber nicht hinter einen Busch hocken. Wie weit ist es denn noch?“
„Hm ...“, Peter überlegte und wollte gerade antworten, doch plötzlich gab es einen spitzen, schrillen Schrei, der sofort wieder abbrach.
„Tina?“, fragte Karin, und dann laut: „Tina!“
Peter rief auch. „Tina?“
Es kam keine Antwort. Die beiden liefen in die Richtung, wo ihre Tochter zuletzt gewesen war und riefen wieder und wieder den Namen.
„Gibt es hier Wildschweine?“, rief Karin, während sie weiterlief, Bäume umrundete und nicht mehr auf Spinnennetze achtete.
„Keine Ahnung“, keuchte Peter. „Tinaa!“
Nach einer Weile des Suchens, sie waren schon viel weiter als Tina gegangen sein konnte, kam von Karin ängstlich: „Peter, verdammt, wo ist Tina denn nur? Sie kann doch nicht verschwunden sein! Tu etwas!“
Peter schaute sie hilflos an. Tina war verschwunden, weg, wie vom Erdboden verschluckt.
6
Als Thomas nach einer langen Horrornacht aufwachte, fühlte er sich wie ausgeweidet. Träume, in denen Blut und Folterungen die Hauptrolle spielten, hatten ihm den Schlaf geraubt. Was für eine Nacht, er fühlte sich wie gerädert. Wie ein Zombie taumelte er ins Bad und enterte die Toilette. Während es unter ihm träge plätscherte, waberten die Visionen der vergangenen Nacht vor ihm auf. Er war kein Weichei, aber eine innere Stimme – sein Bauchgefühl - sagte ihm, er sollte schnellstens das Weite suchen. Doch zuerst brauchte er eine Dusche.
Da er bei seinen Gastgebern angekündigt hatte, früh aufstehen zu wollen, bekam er problemlos ein Frühstück, welches seiner Meinung nach allerdings sehr karg ausfiel. Lediglich getoastetes Weißbrot, Butter, Marmelade und Käse leisteten der Tasse Kaffee Gesellschaft. Er durfte im Wohnzimmer frühstücken, aber auf die Wirtsleute selber musste er verzichten, auf Radio und Zeitung auch. Thomas nahm es gelassen, auch wenn er sich etwas verloren vorkam. Es war sein erstes Frühstück nach der Trennung von Susanne.
Er betrachtete kauend eine große Amethyststufe auf einer Kommode. Die Kristalle funkelten in tiefem Violett und das gute Stück brachte bestimmt zwanzig Kilo auf die Waage. Den kleinen gemütlich eingerichteten Raum dominierte ein Flachbildfernseher, willkommen Fortschritt. Die dunklen Schränke aus Mahagoni, Thomas nahm an, es handelte sich um dieses edle Holz, wirkten alt und wertvoll.
Eine halbe Stunde später war er unterwegs. Im Rucksack gluckste eine Flasche Sprudel; zwei Scheiben Toast, in eine Serviette gehüllt, ergänzten den Nahrungsvorrat. Mit der Kamera um den Hals lief er zügig voran. Den Wirtsleuten hatte er nur gesagt, er werde am Abend zurück sein und sie hatten nicht weiter nachgefragt, was er vorhabe. Er war froh, etwas zu tun zu haben. Wenn er unterwegs war und recherchierte, arbeitete , wie er es bei sich nannte, tat er dies in der Regel allein. So konnte er frei walten und schalten und war sein eigener Herr. Hier allein zu sein, war okay, doch zu Hause wollte er jetzt nicht sein und sich einsam und allein fühlen. Er vermisste seine Freundin, seine Exfreundin. Sie hatten mehrere Jahre zusammengelebt und sich aneinander gewöhnt und jetzt, da sie fort war, fehlte Thomas etwas. Der notorische Geldmangel und seine doch etwas saloppe und chaotische Lebensweise hatte Susanne nicht zugesagt und sie letztendlich fortgetrieben.
‚Mein Leben läuft verkehrt‘, sinnierte er und schritt zügig aus. Er war nun fünfundzwanzig und was hatte er bisher vollbracht? Was hatte er geschafft? Schule, klar, ein Journalistikstudium, weil er dachte, als freier Journalist gute Kohle verdienen zu können. Die Zeitungen und Magazine schienen aber nicht händeringend auf ihn gewartet zu haben und überhäuften ihn nicht mit Aufträgen, Ruhm und Geld. Er kam zurecht, konnte die Miete zahlen und sich Essen kaufen, viel mehr allerdings nicht. Andere hatten in seinem Alter Familie, ein Haus plus schickes Auto, vielleicht ein oder zwei Kinder, er hatte nichts. Jetzt nicht einmal mehr eine Frau. Er fragte sich, was
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