Im fünften Himmel
in diesem kleinen Punkt von Jessica hintergangen, so ähnlich wie Jessica, als sie von Zebrastreifen verlassen wurde.
»Bin ich auch nicht!« Jessica schaut auf die Rufkennung â es ist eine SMS: KEINE SORGE!!!! XO, B&P
Die Anzahl der Ausrufezeichen untergräbt den Inhalt der Botschaft. Jessica will verzweifelter denn je den nächsten Flug kriegen.
»Ich hab dieses Handy vor ein paar Jahren von meinem Arbeitgeber gekriegt, und ich weià immer noch nicht richtig, wie es funktioniert. Ich habe nicht viel Ahnung von Technik, und dieses Ding hat mehr Knöpfe und Schnickschnack, als ich in den Griff kriege.«
Sylvias Miene bleibt unverändert.
»Jedenfalls hat eine Bekannte von mir diesen Klingelton als Scherz einprogrammiert, weil ein ehemaliger Freund mich mal mit einem Barry-Manilow-Klodeckel zurückzugewinnen versucht hat.«
Jessica bricht ab, nicht nur, weil sie sich wie eine Verrückte anhört, sondern auch, weil sie diese Art von öffentlichem Bekenntnis geschmacklos findet. Sie hasst es, wenn sie solche Unterhaltungen mitanhören muss. In Manhattan kann man ständig unfreiwillig Ohrenzeuge von Gesprächen über Untreue, Abtreibungen, Genitalpilz werden, alles schamlos laut und öffentlich, und das jeden Tag. Sie weiÃ, das ist ganz normal, und sie kommt sich vor wie ein anachronistischer Griesgram, weil sie sich gern einen altmodischen Sinn für Anstand und Diskretion bewahren möchte. Wenn sie so eine schamlose Unterhaltung hört, muss sie den mitteilungsfreudigen Narziss einfach ansehen und denkt: Ich will das über dich nicht wissen. Jessica möchte nicht, dass Sylvia â oder irgendjemand aus der Schlange hinter ihr â etwas über Sunny weiÃ.
»Lassen Sie mich noch mal von vorn anfangen«, sagt sie.
Sie erklärt ihr Problem: Sie hat den Flug nach St. Thomas verpasst. Und ihr Ziel: einen Platz im nächsten verfügbaren Flug. Sowie die damit verbundenen Komplikationen: Der Flug, den sie verpasst hat, war schon eine Ãnderung ihrer ursprünglichen Reservierung, so dass die Fluglinie keineswegs verpflichtet ist, eine weitere Ãnderung vorzunehmen, ob mit oder ohne hundert Dollar Umbuchungsgebühr. Sylvia hört sich das alles an und beginnt, mit neu gewonnener professioneller Entschlossenheit auf die Tastatur zu hämmern. »Ms. Daring?«
»Darling«, korrigiert Jessica. »Mit l.«
»Ach, richtig!« Sylvia kneift die Augen zusammen. »Ich brauche eine neue Brille.« Sie tippt, hört dann wieder auf. »Darling mit l. Der Name ist ja eine ganz schöne Herausforderung.« Sylvia weià offenbar â zum Glück â nichts von der Pornoqueen und wie die sich dieser Herausforderung gestellt hat. »So heiÃt doch auch die Familie in Peter Pan !«, ruft sie, die Finger immer noch über den Tasten. »Wie heiÃt das Mädchen gleich? Nicht Tinker Bell. Sie wissen schon, das Mädchen aus der Familie.«
»Wendy«, antwortet Jessica wie schon so oft. »Wendy Darling.«
»Genau! Wendy Darling! Vielen Dank!«, sagt Sylvia und legt endlich wieder die Finger auf die Tastatur. »Das hätte mich sonst den ganzen Tag beschäftigt. Schlecht für die Konzentration.«
»Sie hätten es doch googeln können«, sagt Jessica.
Sylvia winkt ab. »Nicht hier. Keine Internetverbindung. Clear Sky möchte uns von der AuÃenwelt abschneiden, damit wir uns voll und ganz auf den Dienst am Kunden konzentrieren können ⦠auf Sie!«
Jessica lacht höflich, denn das ist jetzt ihre Strategie. Sie beglückwünscht sich zu ihrer Zurückhaltung und Reife. Eine jüngere, weniger geduldige Jessica Darling hätte womöglich gezickt und gemault und das Problem hemmungslos aufgebauscht. Doch gerade ihr Stolz auf diese Fortschritte zeigt, wie unsicher diese Reife eigentlich noch ist. Hat Zebrastreifen sich etwa dazu gratuliert, dass sie keinen Wutanfall bekommen hat? Nein. Sie hat einfach ihr Handy aus der Tasche gezogen und angefangen, das Problem zu lösen, ohne rumzuzetern oder Ãrger zu machen. Richtige Erwachsene sollten nicht feiern, dass sie sich nicht wie ein Kleinkind benehmen. Jessica ist auf dem Weg, aber noch nicht angekommen.
»Ich mag Google nicht«, sagt Sylvia. »Nennen Sie mich ruhig altmodisch, aber ich komme lieber auf die mühsame Art an Antworten: indem ich meine grauen Zellen anstrenge! Ich sage
Weitere Kostenlose Bücher