Im fünften Himmel
erteilen. Wider besseres Wissen versucht er das Gespräch zu retten, indem er eine Frage stellt. »Suchen Sie sich Ihre Kunden immer so zielstrebig aus?«
Jonelles Lippen teilen sich lächelnd und zeigen einen Satz makelloser Zahnverblendungen. »Nur wenn sie so nervös wirken wie Sie.«
Marcus richtet sich zum ersten Mal während des Gesprächs zu voller GröÃe auf, weit über eins achtzig. »Wie nervös?« Er braucht eine objektive Einschätzung.
»Kurz vor der Schreckstarre«, sagt sie. »Sie wollen weiter, aber Sie können nicht. Es fehlt Ihnen der Mut.«
Marcus nickt widerwillig zustimmend, und Jonelle fühlt sich durch seine bejahende Geste ermutigt. Sie schiebt sich einen Schritt näher, und Marcus bekommt die volle Ladung eines schweren Parfüms ab, das an eine Opiumhöhle im neunzehnten Jahrhundert denken lässt. »Sie zittern«, sagt sie. Als Jonelle sanft ihre Handfläche auf seine drückt, reiÃt Marcus seine Hand weg und steckt sie in die Tasche. Die plötzliche Schroffheit der Geste lässt Jonelle etwas unanständig keuchen. »Schon gut!«, ruft sie aus und tritt einen Schritt zurück, um sich zu sammeln. »Okay!«
»Tut mir leid«, sagt Marcus. »Meine Probleme sind nicht therapierbar.«
»Wenn Sie mich brauchen«, haucht sie und zeigt zum Ende der Wandelhalle, »ich bin gleich dahinten.«
Marcusâ Augen wandern in die entgegengesetzte Richtung, zurück zu Jessica. Die Frauen, die vor ihr in der Schlange standen, verlassen geschlossen das Service-Center. Manche schluchzen, andere verziehen wütend das Gesicht; kein Problem ist zu ihrer Zufriedenheit gelöst worden. Jessica ist an der Reihe, mit der Kundenbetreuerin von Clear Sky zu reden.
Auf einmal dämmert es Marcus, wie ein Lichtstrahl in einem dunklen Tunnel. Der Ausweg! Der nächste Schritt! Wieso ist ihm das nicht früher eingefallen? Er hatte alle nötigen Informationen und hat doch so viel Zeit verschwendet.
Jonelle hat den Herzanhänger aus seiner Dekolleté-Gefangenschaft befreit und schiebt ihn jetzt an der Kette hin und her. »Ãhem«, erinnert sie Marcus, weil sie nicht gemerkt hat, dass er unwiederbringlich aus dem Gespräch ausgestiegen ist.
Er hält gerade lange genug inne, um ihr ein Kompliment zu machen. »Ihre Halskette gefällt mir«, sagt er.
Jonelle hat nicht mal Zeit, sich zu bedanken, denn Marcus winkt nur flüchtig zum Abschied und kehrt ihr den Rücken zu. Jonelle zieht sich absatzklackernd zurück, während er sein Handy aus der hinteren Hosentasche zieht und die Nummer auf dem nächsten Clear-Sky-Airlines-Poster wählt. (Es wirbt für Direktflüge nach Paris, und der Spruch lautet: DIE CLEAR-SKY-WETTERVORHERSAGE: ROMANTIK-WAHRSCHEINLICHKEIT 100 %!) Er drückt bestimmte Zahlentasten, wie angegeben. Er wartet und wartet noch ein wenig länger.
Als er endlich jemanden von Clear Sky am Hörer hat, fragt er: »Wann geht der nächste Flug von Newark nach St. Thomas?«
VIERZEHN
»Wann geht der nächste Flug von Newark nach St. Thomas?«
Was Jessica angeht, war das Sing-in ein rauschender Erfolg. Es hat dafür gesorgt, dass der gesamte Fanclub aus dem Service-Center marschiert und Jessica an die Spitze der Schlange gerückt ist. Doch sie steht noch ein paar Schritte vom Schalter entfernt und hat die Frage zu früh gestellt, ohne die Person, an die sie gerichtet war, überhaupt anzuschauen. Die Angestellte von Clear Sky winkt sie mit glänzendem rosa Fingernagel näher heran.
Jessica schaut genauer hin. Moment. Ist das ⦠Sylvia? , fragt sie sich. Oder bin ich schon so lange hier, dass alle Beschäftigten bei Clear Sky gleich aussehen?
An einem anderen Tag würde eine überraschende Doppelgängerin sie nicht weiter beunruhigen. Aber nach allem, was heute schon geschehen ist, beginnt Jessica langsam, an ihrer geistigen Gesundheit zu zweifeln. Sie wendet sich an Zebrastreifen und will fragen, ob die einen Schichtwechsel am Schalter bemerkt hat, muss jedoch feststellen, dass Zebrastreifen nicht mehr da ist. Irgendwann während Jessicas Gespräch mit Hope oder vielleicht später, als sie sich in den Donuthimmel naschte, ist Zebrastreifen von einem Sortiment neuer unzufriedener, aufgehaltener Reisender ersetzt worden. Jessica ist ein bisschen überrascht, dass sie einfach so, ohne ein letztes Fingerpiksen abgezogen ist.
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