Im fünften Himmel
atmet aus.
Die Freundin antwortet: würd ich nehmen
Er schüttelt die Hände in Brusthöhe vor sich aus, die fliegenden Finger verschwimmen. Atmet wieder ein.
Das Mädchen simst: omg abslt
Wäre Natty hier, würde er Marcus sagen, er solle gefälligst nicht den Schwanz wie ein Lasso schwingen.
»Ich dehne mich nur«, würde Marcus sagen.
»Die Minderjährigen da sehen das anders«, würde Natty einwenden. »Das ist klassisches Schwanzlasso.«
»Ist es nicht.«
»Ist es wohl.« Dann würde Natty hinterhältig grinsen und sagen: »Hat deine Anthropologieprofessorin dir gar nichts beigebracht?«
Doch, hatte sie. Sie hatte Marcus von allen möglichen extravaganten Balzritualen im Tierreich erzählt. Bei den Argentinischen Ruderenten schwingt der Erpel seinen langen, dünnen Penis wie ein Lasso, um die Weibchen damit einzufangen. Männliche Fregattvögel blasen ihre Kehlsäcke zu mächtigen knallroten, herzförmigen Ballons auf. Flusspferde scheiden groÃe Mengen stinkender Exkremente aus und lassen dabei den Stummelschwanz wie einen Propeller kreisen, um den Duft weit zu verbreiten. Elche tränken ihre Kinnbärte in Urin. Laubenvögel errichten aufwendige Bauwerke aus Zweigen und Gräsern. Zierschildkröten lassen ihre Zehenkrallen lang wachsen und schwimmen dann mehrere Runden, um mit den aufgeworfenen Wellen anzugeben. Igel rennen frenetisch im Kreis herum. Präriehunde tanzen. Frösche singen. Wapitis trompeten. Viele Primaten â mit denen die Menschen 98 Prozent des Erbgutes gemeinsam haben â präsentieren angeschwollene Genitalien in allen Farben des Regenbogens.
Marcus Flutie dehnt sich.
»Schwanzlasso.«
Immer, wenn Natty das sagte, hat Marcus ihn heftiger auf die Brust geboxt, als nötig gewesen wäre, wenn es sich um einen harmlosen Scherz gehandelt hätte. In Wahrheit weià Marcus trotz seines Widerspruchs, dass seine Yogastellungen mehr Aufmerksamkeit erregen, als wenn er stillstehen würde. Ob er sie trotzdem oder gerade deswegen in aller Ãffentlichkeit einnimmt, kann er selbst nicht sagen. Doch er spürt, dass er gerade beobachtet wird. Das Mädchen ist, von den Eltern gerufen, davongeschlurft. Vielleicht hat Jonelle ihn immer noch im Auge, will eine neue Annäherung wagen. Unter dem Vorwand, ihn böse für seine Unhöflichkeit zu tadeln â Wie können Sie mich einfach so stehenlassen?  â, wird sie versuchen, wieder mit ihm ins Gespräch zu kommen.
»Entschuldigung«, sagt eine gebieterische Männerstimme.
Marcus dreht sich um und sieht zwei Polizisten der Port Authority, die ihn beobachten. Der erste sieht mit seinem schwarz-weià gesprenkelten Schnauzer und den dicken Tränensäcken älter aus, als er eigentlich ist. Marcus wäre überrascht, wenn er erführe, dass er nur ein paar Jahre älter ist als sein Bruder Hugo, gerade dreiÃig geworden. Der zweite Polizist ist kleiner und gleicht das durch übertriebenes Muskeltraining aus, besonders im Nacken. Er ist frisch auf Streife, noch mit Leidenschaft bei der Sache und bei jeder Provokation bereit zuzuschlagen. Er erinnert Marcus an einen Pitbull, aufs Töten abgerichtet.
»Gibt es ein Problem, meine Herren?« Marcus schaut beiden kurz in die Augen, ehe er den Blick auf den entspannter wirkenden Beamten richtet.
»Genau das wollten wir Sie auch gerade fragen«, sagt der Pitbull mit drohendem Lächeln, das eine unausgesprochene Warnung enthält: Wenn ich muss, werde ich dich tasern. Er kneift die Augen zusammen und versucht Marcus einzuschätzen.
Habe ich mich verdächtig benommen? , überlegt Marcus. Oder hat Jonelle mich aus Rache bei der Polizei angezeigt, weil ich ihre Avancen nicht erwidert habe?
»Nein«, sagt Marcus. »Hier gibt es kein Problem.« Er hat sich angewöhnt, in solchen Situationen die Antworten kurz zu halten.
Die Polizisten tauschen einen Blick. Der Finger des Pitbulls zuckt an der Hüfte, es juckt ihn, die Elektroschockpistole aus dem Halfter zu ziehen. Der erste fragt in gemessenem Ton: »Können wir bitte Ihren Ausweis und Ihr Flugticket sehen?«   Â
Marcus kommt zu dem Schluss, dass auch der erste, höfliche Polizist mit seinem »Bitte« und »Entschuldigung« nicht zögern würde, ihn in Handschellen zu legen und in eine Arrestzelle zu schleifen. Glücklicherweise (oder auch
Weitere Kostenlose Bücher