Im Gewand der Nacht
hatte, obwohl erst 29 Jahre alt, im Verlauf seiner bisherigen Karriere mit einer ganzen Reihe reicher und wichtiger Persönlichkeiten zu tun gehabt. Und seine Frau hatte mit ihrer steilen Karriere im Verlagswesen das Übrige getan: Belkis İskender liebte es, ihre Kunden und auch ihren Ehemann in bekannte und teure Restaurants auszuführen. Daher verhielt İskender sich beim Gespräch mit Hikmet Sivas und seinem Bruder Vedat wesentlich normaler, als der Filmstar das gewohnt war.
»Hat Ihre Frau außer Ihnen irgendwelche Bekannte oder Freunde in der Türkei?«, fragte er und beobachtete fasziniert, wie Hikmet sich voller Abscheu in dem trostlosen Vernehmungszimmer umschaute.
»Nein.«
»Wer außer Ihrem Bruder wusste noch von Ihrem Besuch in der Türkei?«
»Nur unsere Schwester Hale und mein Sohn«, antwortete Vedat schnell. »Hikmet und Kaycee sind ausschließlich wegen uns hergekommen.«
Hikmet warf seinem Bruder einen ängstlichen Blick zu.
»Genau«, sagte er dann. »Ein Familienbesuch. Genau.«
Wie viele andere Verbrechensopfer benahm sich auch Hikmet Sivas wie in Trance; er antwortete seltsam gestelzt und schaute sich verwirrt um, als hätte er gerade erst sein Sehvermögen wiedererlangt. Außerdem zeigte er die körperlichen Symptome eines Schocks: Sein Gesicht war kreidebleich, und trotz der im Raum herrschenden Hitze zitterte er am ganzen Körper.
İ skender rückte seine modische Krawatte zurecht. Er war ein gut aussehender Mann, der es genoss, die Mär von den angeblich notorisch ungepflegten Kriminalbeamten zu widerlegen. Zusammen mit Mehmet Süleyman und, in etwas geringerem Maße, Orhan Tepe stand er für das moderne, professionelle Gesicht der heutigen Istanbuler Polizei.
»Wenn ich das richtig verstanden habe«, sagte er zu Hikmet Sivas, »leben Sie schon seit vielen Jahren nicht mehr in Ihrem Heimatland.«
»So ist es.«
»Mein Bruder ist jetzt Amerikaner«, fiel Vedat mit, wie İskender fand, übertriebenem Stolz in der Stimme ein.
»Ich verstehe. Dennoch muss ich Sie fragen, ob Sie irgendwelche Feinde in diesem Land haben, Herr Sivas. Menschen, die Sie vielleicht mit der Entführung Ihrer Frau unter Druck setzen wollen.«
»Nein, die hat er nicht.«
İskender warf Vedat Sivas einen scharfen Blick zu. »Bitte lassen Sie Ihren Bruder die Frage beantworten.« Dann wandte er sich wieder an Hikmet. »Nun?«
Hikmet, dessen Kinn inzwischen auf die Brust gesunken war, murmelte: »Nein.«
»Sind Sie ganz sicher?«
»Ja.«
»Und in Amerika? Haben Sie oder Ihre Frau irgendwelche Feinde dort?«
Zum ersten Mal während der gesamten Befragung erwiderte Hikmet Sivas bewusst den ruhigen, festen Blick Metin İsken ders. Er spürte, dass hier ein Mann vor ihm saß, der ohne jede persönliche Regung seiner beruflichen Tätigkeit nachging. Die se Untersuchung der Entführung einer wunderschönen jungen Frau, die von ihrem Ehemann angebetet wurde, war für ihn eine Aufgabe wie jede andere auch. Er wollte nur seine Arbeit ordentlich erledigen, und die bestand im Augenblick darin, Kaycee zu ihrem Mann zurückzubringen. In seinen kalten schwarzen Augen entdeckte Hikmet kein Mitgefühl. Sie erinnerten ihn an die Augen gewisser Starlets, mit denen er vor vielen Jahren gearbeitet hatte, Frauen, die mit jedem Mann ins Bett gingen, der ihnen eine Rolle in einem miserablen, aber einträglichen Film verschaffen konnte.
Hikmet zwang sich zu einem Lächeln, als er İskenders Frage beantwortete.
»Ich mag vielleicht alt sein, Inspektor«, sagte er, »aber ich bin immer noch ein Hollywoodstar. Wenn Sie auf einer riesigen Leinwand vor Millionen von Menschen erscheinen, werden die meisten von ihnen Sie mögen, wenn auch nicht alle. Manche sind neidisch auf Sie, anderen gefallen Sie schlicht und einfach nicht, wieder andere hassen Sie. Und dann gibt es noch jene Menschen, die Sie so sehr lieben, dass sie Sie Tag und Nacht verfolgen, die Stalker.«
»Ist Ihnen oder Ihrer Frau so etwas schon passiert?«
»Was meinen Sie? Von Stalkern verfolgt zu werden?« Hikmet zuckte die Achseln. »Vor Jahren gab es mal einen Mann, der sich vor meinem Haus herumtrieb, mit mir reden wollte, der die gleiche Kleidung trug wie ich und mich angeblich liebte …« Er schaute İskender erneut an, dieses Mal, um festzustellen, ob seine Worte den türkischen Polizeibeamten schockierten. Aber die kalten Augen blieben ausdruckslos. »Man hat ihn in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen. Soweit ich weiß, ist er immer noch
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