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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Nadel
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einmal.
    »Natürlich müssen Sie Tee mit uns trinken«, fuhr der alte Mann fort.
    »Nur zu gern.«
    Lazar rief nach dem »Jungen« – seinem jüngsten Lehrling und gleichzeitig einer seiner Enkel – und trug ihm auf, Tee und eine Schachtel Haci Bekir-Lokum zu holen. Dieses Fruchtkonfekt war für Hülya bestimmt, für die als weibliche Verwandte eines Ehrengastes nur die beste Sorte jener berühmten Süßigkeit gut genug war. Dass Hülya – zwar völlig grundlos – streng auf ihre Linie achtete, konnte Lazar nicht wissen. Und als der alte Mann die İkmens durch das Geschäft in seine Privaträume führte, flüsterte Çetin seiner Tochter zu, sie möge ihre Diät für einen kurzen Augenblick außer Acht lassen, um ihren Gastgeber nicht zu kränken. Hülya warf ihm einen missmutigen Blick zu, fügte sich dann aber ins Unvermeidliche.
    Schließlich betraten sie einen ganz in Rot gehaltenen Raum: rote Teppiche, rote Sofas, rote Vorhänge – alles äußerst komfortabel, wenn auch unter den momentanen Wetterbedingungen recht warm. İkmen zog sein Jackett aus und ließ sich nieder. Ein junger Mann mit melancholischen Augen brachte aus einem der Werkstatträume ein Tablett mit einer Auswahl Goldmünzen in unterschiedlichen Größen herein. Als sich Hülyas und sein Blick trafen, errötete sie leicht.
    »Guten Abend, Berekiah«, meinte İkmen. »Anscheinend hast du den Grund meines Besuchs bereits erraten.«
    Berekiah Cohen lächelte.
    »Die Geburt des Süleyman-Sohnes ist heute schon oft in diesen bescheidenen Räumen gefeiert worden«, sagte Lazar und bedeutete Berekiah, wieder an seine Arbeit zu gehen.
    »Was für ein Glück für euch, Lazar«, sagte İkmen lächelnd.
    »Geburten bringen immer ein gutes Geschäft.«
    »Für mich zählt nur, dass das Kind gesund und männlich ist. Die Familie hat einen Erben gebraucht.« Der alte Mann legte İkmen das Tablett mit Goldmünzen zur Ansicht vor und deutete auf ein besonders großes Exemplar. »Diese hier stammt aus der Regierungszeit von Sultan Abdülmecit. Muhammed Süleyman Effendi ist einer seiner direkten Nachkommen, weshalb ein solches Geschenk besonders passend wäre.«
    »Ich verstehe.« Gequält zog İkmen eine Augenbraue hoch.
    »Leider ist sie extrem kostspielig.«
    »Aber Çetin Bey …«
    »Ich bin nur Polizist, Lazar. Natürlich will ich alles für das Kind tun, was ich kann, aber …«
    Wenn es etwas gab, das Hülya schrecklich langweilte, dann war es das Feilschen. Und da ihr Vater darin ein Meister war, wusste sie, dass ihr ein langer Abend mit viel Tee und Lokum bevorstand. Also konnte sie sich genauso gut eine Weile im Laden umsehen …
    »Hallo, Berekiah«, sagte sie, als sie die Werkstatt betrat.
    Der junge Mann schaute von dem Schmuckstück auf, das er gerade bearbeitete, einem Ring, der mit Diamanten besetzt werden musste. »Hallo, Hülya. Wie geht es dir?«
    »Gut, vielen Dank.« Sie trat näher an ihn heran; als ein Lichtstrahl auf sein Gesicht fiel, sah sie ein wenig Goldstaub auf seiner Nase glitzern. »Was machst du gerade?«
    »Das wird ein Ring für eine Dame, die bald heiratet.« Er deutete mit dem Kopf in Richtung einer Schaufensterpuppe, die in einer dunklen Ecke der Werkstatt stand. »Alles muss genau auf das Kleid abgestimmt werden, das sie tragen wird.«
    Da sie Berekiah gerade erst gefunden hatte, wollte Hülya gern noch etwas länger in seiner Nähe bleiben. Doch er schien sich so sehr auf seine momentane Aufgabe zu konzentrieren, dass sie sich verpflichtet fühlte, das Kleid zumindest kurz aus der Nähe zu betrachten. Als sie davor stand und Berekiah das Licht über der Puppe anschaltete, war sie froh über ihre Entscheidung.
    Das bodenlange Gewand bestand aus schwerem weißen Satin und hatte lange, kunstvoll verzierte Spitzenärmel. Der Rock war von oben bis unten mit kleinen weißen Rosen besetzt, und die schmale Taille umschloss ein wunderschöner breiter Reif aus Metall.
    »Er ist aus echtem Gold«, beantwortete Berekiah Hülyas unausgesprochene Frage nach dem Gürtel.
    »Wirklich?«
    Er lächelte. »Der Vater der Braut ist ein sehr reicher Mann.«
    Hülya fuhr sanft mit den Fingern am Rand des spitzenbesetzten, tiefen Dekolletés entlang und seufzte: »Was muss das für ein Gefühl sein, in einem solchen Kleid zu heiraten!«
    »Das wirst du wohl nie erfahren!« Die barsche Stimme ihres Vaters traf sie unvorbereitet.
    »Papa!«
    İkmen bewegte sich mit einer für ihn ungewohnten Schnelligkeit. »Geh sofort von dem Ding weg«, sagte

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