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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Nadel
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sofern ich keine Hinweise auf Drogenmissbrauch finde, würde das für einen natürlichen Tod sprechen.«
    İkmen runzelte die Stirn. »Ein natürlicher Tod?«, fragte er. »Das Mädchen wurde vergewaltigt, zum Analverkehr gezwungen und aufgeschlitzt!«
    »Das stimmt, aber ich glaube, dass die eigentliche Todesursache nichts damit zu tun hat«, erwiderte der Armenier. »Ich nehme an, ein kleines Blutgerinnsel hat den Blutfluss im Herzen blockiert. Das hat zu einem Absterben von Gewebe in diesem Bereich und letztlich zu einem Herzschlag geführt.«
    »Aber durch irgendetwas muss dieses Blutgerinnsel verursacht worden sein.«
    »Auch das ist richtig, aber die Ursache muss nicht notwendigerweise etwas mit Gewalt oder Körperverletzung zu tun haben. Sämtliche Schnitte wurden ihr erst nach ihrem Tod zugefügt. Es stimmt zwar, dass man sie im Laufe ihres Martyriums vor ihrem Tod festgehalten, vergewaltigt und geschlagen hat, aber ich kann nicht feststellen, dass diese Qualen ihren Tod herbeigeführt haben. Diese plötzliche Todesart ist viel verbreiteter, als man denkt. Und sie steht in keinem Zusammenhang mit äußeren Lebensumständen wie Gesundheitszustand, Alter oder irgendwelchen Verletzungen. Es passiert einfach, und wie gesagt, falls ich Drogenmissbrauch ausschließen kann, werde ich offiziell feststellen müssen, dass sie eines natürlichen Todes gestorben ist.«
    »Aber sie wurde ganz offensichtlich in die Zisterne gelegt, Arto«, sagte İkmen und suchte in seinen Taschen wider besseres Wissen nach Zigaretten.
    »Ich gebe ja zu, dass ihr Tod im Verlauf ihres sexuellen Martyriums eingetreten sein kann, aber falls das so war, handelte es sich um einen reinen Zufall, Çetin. So etwas kann jederzeit geschehen. Möglicherweise glaubten Fräulein İpeks Vergewaltiger, sie hätten sie umgebracht, und warfen ihren Körper deshalb in die Zisterne.«
    İkmen, den sowohl diese Neuigkeiten als auch der Nikotinmangel nervös machten, setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. »Ohne einen Mord und in Anbetracht der Tatsache, dass das Mädchen keine Jungfrau mehr war, dürfte es schwierig werden, meine Vorgesetzten davon zu überzeugen, dass es hier um Vergewaltigung geht. Wenn das stimmt, was du sagst, bleibt mir nur noch Körperverletzung und illegale Beseitigung eines Leichnams.«
    »Ich weiß. Aber ich kann die Tatsachen nicht ändern, selbst wenn sie noch so ärgerlich sind«, sagte Arto. »Wir haben Proben von Samenflüssigkeit genommen, die uns bei der Feststellung möglicher Täter nützlich sein können.«
    »Gut.«
    »Es tut mir Leid, Çetin.«
    »Ist doch nicht deine Schuld«, seufzte İkmen. Dann legte er auf.
    Auf dem Heimweg machte İkmen kurz an einem Kiosk Halt, um Zigaretten zu kaufen. Dabei dachte er die ganze Zeit darüber nach, was er der Familie İpek und seiner eigenen Tochter sagen sollte. Eine Vergewaltigung von jemandem mit einem »zweifelhaften« Ruf war äußerst schwer zu beweisen, und wenn der oder die Täter ihr Opfer nicht getötet hatten, dann …
    İkmen wusste, dass Arto seinen Bericht Polizeipräsident Ardiç erst dann vorlegen würde, wenn er sich der Ergebnisse absolut sicher war. Und İkmens Vorgesetzter hatte erfahrungsgemäß nicht den Drang, von sich aus bei dem Pathologen nachzufragen. Daher würden die Dinge zunächst ganz normal ihren Lauf nehmen, auch wenn seine Hoffnung auf eine befriedigende Lösung des Falles einen schweren Dämpfer erhalten hatte.
    Die Hülya, die er zum Goldbasar mitnahm, hatte kaum etwas mit dem normalerweise Jeans tragenden Mädchen gemein, das İkmen so gut kannte. Mit ihrer frischen weißen Bluse und dem eleganten engen Rock wirkte sie eher wie eine junge Dame auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch. Allerdings hielt İkmen sich mit jeder Art von Kommentar zurück: Das arme Kind würde genug damit zu tun haben, nicht zu erröten, wenn sie Berekiah Cohen begegnete, da musste er nicht auch noch zu ihrer Verlegenheit beitragen.
    Als sie das Geschäft des Juden Lazar betraten, wurden sie herzlich begrüßt. Der alte Herr unterbrach sofort seine momentane Tätigkeit, um İkmen mit einer schwachen, zittrigen Umarmung willkommen zu heißen.
    »Oh, Çetin Bey, es ist eine große Ehre, Sie in unserem armseligen Geschäft begrüßen zu dürfen«, sagte er in seiner typisch osmanischen Art.
    İkmen erwiderte die Umarmung und musste über das offensichtliche Missverhältnis zwischen Lazars Wortwahl und der kostbar glitzernden Umgebung lächeln. Doch so war Lazar nun

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