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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Nadel
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hatte das eigentlich vermeiden wollen, doch selbst in ihrem momentanen Zustand erkannte die Psychiaterin in ihr, dass es wahrscheinlich unumgänglich sein würde. Damit ihre mütterlichen Gefühle wachsen konnten, musste sie sich unbedingt entspannen, was ihr nicht leicht fiel in einer Umgebung, in der sie sich nicht vollkommen heimisch fühlte. Obwohl sie seit dreizehn Jahren im Heimatland ihres Vaters lebte und arbeitete, war Zelfa – oder Bridget, wie sie zu Hause genannt wurde – in ihrem tiefsten Inneren immer noch Irin. Und als solche hatte sie wenig Verständnis für »böse Blicke«, das feste Wickeln des Säuglings und die strenge Bettruhe, zu der sie im Augenblick gezwungen wurde. Aber sie musste stark bleiben, also schob sie alle Gedanken an ihre Heimat Irland weit von sich. Denn wenn sie es nicht getan hätte – das wusste sie genau –, dann hätte sie sich den Schlauch aus dem Bauch gezogen und wäre auf der Stelle dorthin zurückgekehrt, wahrscheinlich ohne den kleinen Yusuf İzzeddin. Armer kleiner Prinz. Zelfa begann erneut zu weinen.
     
    »Herr Sivas, ich habe größtes Vertrauen in Wachtmeister Çök tins Fähigkeiten als Unterhändler«, sagte İkmen in scharfem Ton. »Und falls es Sie beruhigt: Er wendet die gleichen Methoden an wie das FBI. Ich weiß sehr wohl, wie sehr Sie Amerikaner die Fähigkeiten Ihrer staatlichen Institutionen schätzen.«
    İkmen legte eine besondere Betonung auf die Worte »Sie Amerikaner«, doch diese Ironie schien an Hikmet Sivas verschwendet zu sein. Er war sichtlich mitgenommen von den Ereignissen der letzten vierundzwanzig Stunden, lief unruhig in seinem inzwischen völlig verrauchten Wohnzimmer auf und ab und steckte sich eine Zigarette an der nächsten an. Zwischendurch ließ er sich immer wieder zu Ausbrüchen hilfloser Wut hinreißen.
    »Wer auch immer meine Frau entführt hat, wird mich nicht kontaktieren, wenn er weiß, dass die Polizei hier ist«, sagte er. Dann murmelte er, mehr zu sich selbst: »Ich hätte auf Vedat hören sollen und mich nicht an den Polizisten wenden dürfen.«
    »Mag sein, aber Sie haben es nun einmal getan, nicht wahr?«, sagte İkmen. »Ich stimme Ihnen zu, dass die Kidnapper Ihrer Frau inzwischen wahrscheinlich wissen, dass Sie uns hinzugezogen haben. Aber wenn diese Leute planen, Ihre Frau gegen Zahlung einer Geldsumme freizulassen, wüsste ich nicht, wieso das etwas ändern sollte. Kidnapper glauben immer, sie seien schlauer als die Polizei, deshalb bin ich mir sicher, dass sie sich bald bei Ihnen melden werden.«
    Obwohl er wusste, dass İskender für seine nächtliche Razzia in Beyazıt andere Gründe vorgeschoben hatte, war İkmen alles andere als zuversichtlich – auch wenn er das vor Hikmet Sivas sorgfältig verbarg. Diejenigen, die für die Entführung verantwortlich waren, würden wissen, warum halb Beyazıt auseinander genommen worden war. Istanbul konnte gelegentlich ein Dorf sein, vor allem was das kriminelle Milieu anging. Niemals hätte İkmen das Problem so zu lösen versucht, wie İskender es getan hatte. Dennoch glaubte er immer noch daran, dass Kaycees Entführer sich melden würden, falls es wirklich um Geld ging. Wenn jedoch andere, unbekannte Motive im Spiel waren, standen sie vor einem großen Problem. Çöktin zufolge war Hikmet Sivas für ein Verbrechensopfer nicht gerade mitteilsam gewesen, und nach wie vor ging er nur widerwillig auf die Bemühungen des jungen Polizeibeamten ein.
    »Also, Herr Sivas«, sagte İkmen und zündete sich ebenfalls eine Zigarette an, »gibt es vielleicht außer Geld noch einen anderen Grund, der das Verschwinden Ihrer Frau erklären könnte?«
    »Nein, aber das habe ich ihm auch schon gesagt!«, explodierte Sivas und deutete auf Çöktin, der neben dem Telefon saß, das inzwischen mit einem Aufnahmegerät verbunden worden war.
    »Aber Ihr Bruder hat versucht, Sie davon abzuhalten, sich am Tatort an unseren Beamten zu wenden.«
    »Weil er Angst hatte!«, brüllte der Filmstar. »Auch das habe ich Ihren Leuten bereits gesagt!«
    İkmen zuckte die Achseln. Hikmet Sivas entsprach in keinster Weise den Vorstellungen, die er sich von ihm gemacht hatte. Er war kleiner als er auf der Leinwand wirkte und sah für sein Alter gut aus, doch mehr auch nicht. Ganz offensichtlich hatte er sein Haar gefärbt, und trotz der Schönheitsoperationen, für die er mit Sicherheit viel Geld bezahlt hatte, war die Haut an seinem Hals faltig, und seine Wangen hingen leicht herab. Natürlich war er nach

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