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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Nadel
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hier, aber …« Sivas drehte den beiden Polizeibeamten den Rücken zu, bevor er weitersprach. Doch da er immer noch fast schrie, konnten sie ihn problemlos verstehen. Die beiden Inspektoren und Çöktin, der ebenfalls im Raum war, wechselten geringschätzige Blicke.
    »Hast du je die türkische Polizei in Aktion gesehen?«, fuhr Sivas fort. »Stell dir einfach einen Haufen zurückgebliebener Schläger vor, dann weißt du, wovon ich rede. Sie werden sie ganz bestimmt nicht finden. Ich brauche Hilfe, und zwar richtig gute Leute. Klar, ich weiß, dass ich mit ihnen zusammenarbeiten muss, aber …«
    In der nun folgenden Stille, in der Sivas’ Agent zweifellos versuchte, seinen Klienten zu beschwichtigen, verließ İkmen den Raum. Er war kein zurückgebliebener Schläger, und er würde sich dieses Gespräch nicht länger anhören. Rechtlich gesehen war Sivas das Opfer eines Verbrechens, und İkmen wollte unbedingt vermeiden, dass sein Zorn gegen einen unschuldigen Mann sich noch weiter steigerte.
9
    Nachdem İkmen an diesem Abend seinen Wagen in der Nähe seines Hauses geparkt hatte, ging er nicht direkt in die Wohnung, sondern überquerte die Divanyolu Caddesi und holte sich an einem Kiosk Zigaretten. Mit vierzig Maltepe ausgestattet, spazierte er zurück und kam unterwegs an der Pastahane vorbei. Vor dem Eingang stand Hassan Şeker und rauchte eine Zigarette, zuckte aber nicht mit der Wimper, als İkmen vorbeiging, obwohl er ihn gesehen haben musste.
    Bereits vor Hatices tragischem Tod hatte İkmen ein paar Gerüchte über Hassan gehört. Es hieß, er sei weniger willensstark als sein berühmter Vater, und manche seiner Angestellten und Freunde nähmen sich gewisse Freiheiten ihm gegenüber heraus. Es gab sogar Leute, die behaupteten, die Torten und Konditorwaren seien denen unterlegen, die Kemal einst hergestellt hatte. Das konnte İkmen jedoch nicht recht glauben, auch wenn er zugeben musste, dass Hassan offenbar eine eher lässige Einstellung zum Geldverdienen hatte. Wenn man dem Glauben schenkte, was in Hatices Tagebuch stand, war eines jedoch sonnenklar: Hassan Şeker war kein wildes Tier. Obwohl sie ihre sexuelle Beziehung zu Hassan in ihren Einträgen sehr detailliert beschrieben hatte, wirkte das Ganze weder geschmacklos noch pornographisch. Es schien eher, als konzentriere sie sich auf die Gefühle, die seine Berührungen bei ihr auslösten und die sie offensichtlich als sehr schön empfand. Und obwohl er sie manchmal gebeten hatte, gewisse Dinge zu tun, die sie nicht mochte, hatte er sie nie zu etwas gezwungen. Ihrem Tagebuch nach zu urteilen, erlebte Hatice jedes Mal sexuelle Befriedigung, wenn Hassan Şeker ihren Körper liebkoste. İkmen fragte sich, wie viele Frauen das wohl von sich behaupten konnten.
    Er wollte gerade in die Gasse einbiegen, die zur Rückseite des Häuserblocks führte, in dem seine Wohnung lag, als ihn jemand am Handgelenk packte. Instinktiv hob İkmen den anderen Arm, um sich zu verteidigen. Aber als er sah, wer ihm da zu nahe getreten war, wusste er, dass keine Gefahr drohte.
    »Ach, du bist es«, sagte er verächtlich, während er den erhobenen Arm sinken ließ und sein Handgelenk aus der Umklammerung des Angreifers befreite.
    »Ja, Çetin Bey«, erwiderte der kleine, schmierige Mann grinsend und entblößte eine Reihe verfaulter Zähne.
    »Was willst du, Ratte?«, fragte İkmen, während er sich bemühte, alle Spuren von seinem Handgelenk zu entfernen, die die schmutzigen Hände des Mannes dort hinterlassen haben mochten. Ratte betätigte sich nicht nur gelegentlich als Informant, sondern ernährte sich auch aus Mülltonnen. Obwohl er nicht ganz so mittellos war, wie er auf den ersten Blick wirkte, genoss er offensichtlich manche Aspekte seines Vagabundenlebens.
    »Ich möchte Ihnen helfen, Çetin Bey«, murmelte er seine übliche Eröffnung.
    »Oh, und wobei möchtest du mir helfen, Ratte? Vielleicht beim Aufspüren einer Bande von Taschendieben, die von einem Achtjährigen angeführt wird?« İkmen war müde. Er hatte einen langen, harten Tag hinter sich, und Rattes Informationen waren selten auch nur das Geld wert, das man für den Besuch einer öffentlichen Toilette bezahlte. İkmen schüttelte den Kopf und setzte sich wieder in Bewegung.
    »Sie wissen doch, dass es in dieser Stadt noch immer Odalisken gibt, oder, Çetin Bey?«
    İkmen drehte sich um. »Wohlhabende Besucher aus arabischen Ländern haben manchmal mehr als vier Frauen, die würden wir als Odalisken bezeichnen.

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