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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Nadel
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Ja, das weiß ich«, sagte er.
    »Was ist damit?«
    »Nein, ich rede von türkischen Mädchen, Çetin Bey. Mädchen, die wunderschöne Gewänder tragen, für Männer tanzen und so tun, als wären sie osmanische Prinzessinnen.«
    İkmen ging zurück und packte Ratte an der Schulter. »Was weißt du darüber, Ratte?«
    »Ich weiß, dass eins der Mädchen tot ist.«
    »Und weißt du auch, wer sie getötet hat?«
    Ratte senkte den Kopf und blickte mit unbewegtem Gesicht zu Boden.
    »Wenn du weißt, wer sie umgebracht hat, Ratte, kann ich dich mit auf die Wache nehmen und dir die Information aus der Nase ziehen, ohne dass auch nur ein einziges Scheinchen den Besitzer wechselt«, sagte İkmen mit drohendem Unterton.
    »Aber ich weiß nicht, wer sie umgebracht hat, Çetin Bey«, erwiderte Ratte völlig ungerührt. »Ich hab nur gehört, dass so was vorher noch nie passiert ist.«
    İkmen runzelte die Stirn. »Was meinst du mit ›vorher‹?«
    »Dass die Frauen früher nicht gestorben sind, wenn sie von den Männern aufgesucht wurden.«
    İkmen zog Ratte in eine dunkle Ecke auf der Rückseite des Mietshauses, unter einen uralten, laut gurgelnden und pumpenden Heißwasserbereiter. Dann zündete er sich eine Zigarette an, ohne seinem Informanten eine anzubieten.
    »Von welchen Frauen redest du, Ratte?«, fragte er. »Und wenn du Männer sagst, meinst du dann Freier?«
    »Das ist ein großes Geheimnis«, sagte Ratte, dessen Augen sich beim Anblick der Zigarette weiteten. »Ich weiß nur, dass junge Frauen sich wie Odalisken anziehen und Männer beglücken. Das tun sie schon seit ewigen Zeiten …«
    İkmen holte die Schachtel Zigaretten aus seiner Jackentasche.
    »Und diese Männer«, setzte er an, »sind das …«
    »Ich weiß nicht, was das für Männer sind! Ich weiß, dass sie wichtig sind, aber …« Ratte verfolgte mit gierigem Blick die Zigarette, die İkmen vor seinem Gesicht hin und her baumeln ließ. »Wie gesagt, es ist ein großes Geheimnis und das schon seit langer Zeit.«
    İkmen reichte Ratte die Zigarette, und der steckte sie sich mit einem angenagten Streichholz an.
    »Ich nehme an, die Frauen tun das für Geld«, sagte İkmen.
    »Ja.«
    »Aber jemand anders organisiert und kontrolliert das Ganze.«
    »Also …« Ratte warf einen verstohlenen Blick über seine Schulter. Als er sich davon überzeugt hatte, dass sie noch immer allein waren, fuhr er fort: »Niemand weiß, wer das ist, Çetin Bey, niemand. Aber …«
    »Aber?«
    »Aber vor kurzem haben sich ein paar Leute, die zur Familie gehören, in das Geschäft eingekauft. Ich hab gehört, seitdem ist alles anders geworden. Jetzt ist Blut im Spiel.«
    »Woher hast du all diese Informationen, Ratte?«, fragte İkmen und versuchte, den vertrauten kalten Schauer zu unterdrücken, der ihm jedes Mal über den Rücken lief, wenn er einen entscheidenden Schritt vorwärts kam.
    »Ach, das hört man so auf der Straße, Çetin Bey.«
    Blitzschnell packte İkmen Ratte am Hals und drückte ihn gegen die Mauer. Der Gestank, der ihm in die Nase stieg, war widerlich, aber İkmen wusste aus Erfahrung, dass es nur eine Methode gab, um mit solchen Leuten umzugehen.
    »Red keinen Schwachsinn, Ratte«, zischte er. »Wer hat dir davon erzählt? Vor wessen Fenster hast du rumgelungert und gelauscht?«
    »Ich schwöre …«
    »Ich kann dich mit zur Wache nehmen …«
    »Da werde ich Ihnen auch nichts sagen!«, heulte der kleine Mann auf, dessen Gesicht jetzt rot angelaufen war. »Das nützt Ihnen gar nichts! Sie können mich noch so lange foltern lassen! Ich werde es Ihnen nicht sagen, Çetin Bey. Das ist eine Sache der Familie, wenn Sie verstehen, was ich meine. Nichts, was die Polizei mit mir machen könnte, ist schlimmer als das, was die mir antun würden.«
    Da hatte er natürlich Recht. İkmen lockerte den Griff um den dünnen Hals des Mannes und zog schweigend an seiner Zigarette. Wenn Ratte die Wahrheit sagte und wirklich eine der Familien im Spiel war, bedeutete dies, dass eine Fülle von Problemen auf İkmen zukam. Die türkische Mafia, die zwar nicht so berüchtigt war wie ihr sizilianisches oder russisches Pendant, durfte nicht unterschätzt werden. So wusste beispielsweise niemand, wo sich die diversen Familien, die an allen möglichen illegalen Aktivitäten beteiligt waren, jeweils aufhielten. Auch im Drogengeschäft mischten sie heftig mit und pendelten offenbar ständig zwischen Istanbul und den östlichen Provinzen hin und her. Hinzu kamen häufige Reisen ins

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