Im Gewand der Nacht
verfluchte Huren, die dem Staat den Arsch hinhalten! Der kleine Mann interessiert sie nicht, sie sind nur hinter Geld her, genau wie Hikmet!«
»Geld ist sehr wichtig, Herr Sılay. «
»Nein, das ist es nicht!«
»Für diejenigen, die noch nie ohne Geld dagestanden haben, mag es von untergeordneter Bedeutung sein«, erwiderte İkmen in scharfem Ton. Er musste daran denken, was Tepe ihm über Ahmet Sılays privilegierte Herkunft erzählt hatte.
»Hikmet Sivas hat seinen Körper, seine Seele und seine Prinzipien für Geld verkauft.«
»Richtig, und Sie hätten vielleicht das Gleiche getan, wenn Sie in Armut aufgewachsen wären.« İkmen war kurz davor, die Geduld mit diesem verbitterten alten Mann zu verlieren. Wahrscheinlich hätte er noch viel mehr gesagt, wenn nicht genau in diesem Augenblick sein Mobiltelefon geklingelt hätte.
İkmen wandte sich ab, um den Anruf entgegenzunehmen. Tepe und Sılay betrachteten seinen Hinterkopf, während er in dringlichem Ton in das kleine Gerät sprach. Das Telefonat dauerte keine Minute, doch als İkmen sich den beiden anderen wieder zuwandte, war sein Gesicht aschfahl. Tepe spürte plötzlich, wie sein Herz schneller schlug.
»Chef?«
»Wir müssen los«, sagte İkmen und war schon halb aus der Tür. »Sofort.«
Während der ganzen Zeit, die sie benötigten, um Frau İpek zu beruhigen, dachte Hülya darüber nach, warum Berekiah vorbeigekommen war. Nachdem sie ihrer Nachbarin ein Glas Tee zubereitet hatte und Berekiah noch einmal kurz verschwunden war, um ein Päckchen Zigaretten für Hürrem zu besorgen, setzten sich die drei und redeten – hauptsächlich über Hatice, aber auch darüber, wie grausam das Leben manchmal war und wie plötzlich sich alles verändern konnte. Hülya wusste, dass Berekiah ähnliche Erfahrungen gemacht hatte: Die Geisteskrankheit seines älteren Bruders Yusuf hatte sich nicht lange angekündigt, und das schreckliche Erdbeben von 1999, bei dem Berekiahs Vater beide Beine verloren hatte, war ohne jede Vorwarnung über die Stadt hereingebrochen.
Hürrem İpek schien sehr angetan von Berekiah zu sein, aber Hülya interessierte nur, warum er sie überhaupt aufgesucht hatte.
Schließlich wagten es die beiden jungen Leute, Hürrem allein zu lassen, und gingen hinaus in den schmutzigen Hausflur. »Ich bin eigentlich hergekommen, um zu fragen, ob irgendjemand von eurer Familie mit ins Krankenhaus will, um Zelfa und das Baby zu besuchen«, sagte Berekiah. »Wegen der Operation kann Zelfa noch keine Gäste zu Hause empfangen, aber die Familie freut sich über jeden Besucher im Krankenhaus, und ich weiß, dass Çetin Bey ein Geschenk für das Kind gekauft hat.«
»Also bist du eigentlich wegen meines Vaters hier«, sagte Hülya und bemühte sich, ihre Enttäuschung zu verbergen.
»Ich wusste nicht, wer von euch zu Hause sein würde«, erwiderte Berekiah. »Aber ich hab heute frei und war sowieso in der Gegend. Hast du vielleicht Lust mitzukommen?«
Natürlich hatte sie Lust. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg und besorgten unterwegs noch verschiedene Lebensmittel, so wie Berekiahs Mutter es ihrem Sohn aufgetragen hatte.
Als sie jedoch im Krankenhaus eintrafen, merkte Hülya sofort, dass irgendetwas mit der neuen Familie Süleyman nicht stimmte. Dr. Halman, wie sie Mehmets Frau noch immer respektvoll nannte, wirkte sehr mitgenommen von den Strapazen der Geburt und konnte sich kaum ein Lächeln abringen, als man ihr den kleinen Yusuf İzzeddin brachte. Ihr Vater, Dr. Babur Halman, versuchte angestrengt, ein munteres Gespräch in Gang zu bringen, was ihm jedoch nur phasenweise gelang. Hülya verstand nicht, warum die ganze Atmosphäre so furchtbar angespannt war. Wenn ein Kind auf die Welt kam, waren die Leute normalerweise doch sehr glücklich. Ihre Mutter hatte sich jedenfalls immer riesig gefreut, wenn wieder Nachwuchs kam. Es war Hülya vollkommen unverständlich, warum Dr. Halman so traurig wirkte.
Doch als kurze Zeit später Mehmet Süleyman erschien, änderte sich Dr. Halmans Verhalten schlagartig. Vergnügt legte sie das Kind ihrem Vater in die Arme und ergriff die Hand ihres Mannes. Sie blickte ihn mit großen Augen an und lachte bei der kleinsten Gelegenheit laut auf, selbst wenn das, was er sagte, gar nicht besonders amüsant war. Es kam Hülya so vor, als hätten die beiden ihr erstes Rendezvous, und Dr. Halman wollte versuchen, Mehmet für sich zu gewinnen. Nach der Ankunft ihres Mannes würdigte sie ihren Sohn keines
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