Im Gewand der Nacht
Tepe in dem Bemühen, die aufsteigende Übelkeit durch Worte zu bekämpfen. »Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum es ihm jetzt so schlecht geht.«
»Das ist mir im Augenblick vollkommen egal, Tepe.« İkmen ließ sich auf der Bettkante nieder und zündete sich eine Zigarette an. »Wir müssen Dr. Sarkissian verständigen. Mal sehen, was er uns zu dem Ding hier sagen kann.«
»Ja, Chef.«
İkmen nahm einen tiefen Zug und stieß den Rauch mit einem Seufzer wieder aus.
»Ich muss den Bruder und die Schwester vernehmen«, sagte er. »Arrangieren Sie das schon mal.«
»Ja, Chef. Soll ich auch Dr. Sarkissian verständigen?«
»Nein. Das mache ich selbst.«
Dankbar verließ Tepe den Raum. İkmen holte sein Mobiltelefon hervor und wählte die Nummer des Pathologen. Während er darauf wartete, die vertraute Stimme am anderen Ende der Leitung zu hören, sah er noch einmal kurz in die Kiste und schloss dann die Augen. Kaycee Sivas war jung und sehr schön gewesen, und was auch immer sie in ihrem Leben angestellt haben mochte, solch ein schreckliches Ende hatte sie nicht verdient. Sie musste furchtbare Angst ausgestanden haben …
İkmen zwang sich, nicht länger darüber nachzudenken, und als Dr. Sarkissian sich schließlich meldete, teilte er ihm die nötigen Informationen mit professioneller Distanz mit.
Der Mann, den das ganze Viertel unter dem Namen Ratte kannte, war tot. Unter Folterqualen hatte er gestanden, mit İkmen über etwas gesprochen zu haben, worüber er nicht hätte sprechen dürfen. Danach hatte man ihn getötet und, um ganz sicherzugehen, auf einer Müllkippe in der Nähe des Flohmarkts Topkapı Bit Pazarı verbrannt. In diesem heruntergekommenen Viertel war die Armut so groß, dass den Menschen die Kleidung am Körper zerfiel und die Leiche eines Mannes wie ein Haufen alter Lumpen verbrannt werden konnte, ohne Aufsehen zu erregen. Wer auch immer Ratte gewesen sein mochte, ihn würde niemand mehr finden.
Hassan Şeker weinte, als er darüber nachdachte. Er weinte, weil er schuldig war. Wenn er nicht erwähnt hätte, dass er gesehen hatte, wie Ratte İkmen in die Ticarethane Sokak gefolgt war, dann wäre all das nicht passiert. Doch er hatte es nun mal getan. Ratte war ein stadtbekannter Polizeispitzel, und Hassan hatte Angst gehabt. So furchtbare Angst!
Daran hatte sich auch nichts geändert. Die Angst war sein ständiger Begleiter. Wie sagte doch seine Frau regelmäßig, wenn einer seiner »Geschäftspartner« in der Pastahane auftauchte: »Du triffst dich mit diesen großspurigen, harten Jungs, aber du weißt gar nicht, für wen sie arbeiten, oder?«
Was das betraf, hatte Suzan ausnahmsweise Unrecht. Hassan wusste inzwischen, wer ihre Auftraggeber waren, und das ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Obwohl er alles getan hatte, um diejenigen zufrieden zu stellen, deren Namen er aus Furcht nicht einmal zu denken wagte, wusste er, dass man ihm die Schuld an allem gab, was schief gelaufen war – nur wegen seiner Affäre mit Hatice. Wenn er doch nur die Stärke seines Vaters besessen hätte! Kemal Şeker hatte sich sämtlichen Avancen, Angeboten und Drohungen solcher Leute stets vehement widersetzt. Daraus kann niemals etwas Gutes entstehen, hatte er immer gesagt. Und er hatte ja so Recht gehabt. Alle Zuwendungen und Gefälligkeiten, in deren Genuss Hassan gekommen war, konnten ihn nicht entschädigen für das, was er jetzt ausstand: diese furchtbaren Qualen der Angst.
Von Ratte einmal abgesehen, überstieg das, was man der kleinen Hatice angetan hatte, die Grenzen des Ertragbaren, auch wenn ihn selbst keine Schuld daran traf. Im Gegenteil: Hätte er sich nicht mit den Halbwahrheiten abspeisen lassen, sondern geahnt, was die wirklich vorhatten, dann hätte er Hatice niemals in die Sache hineingezogen. Ekrem hatte ihm mitgeteilt, man habe das Mädchen gesehen und für sehr begehrenswert befunden. Und obwohl Hassan einwandte, dass sie mit ihm zusammen sei, ließen sie oder »dieser Mann«, der im Hintergrund stand, nicht locker. Selbst wenn er sie ihm nicht gegeben hätte, diesem Mann, dann hätten sie sie trotzdem mitgenommen. Es hätte nichts geändert.
Doch der Gedanke, dass Hatices Tod unvermeidlich war, tröstete ihn nicht. Er würde sie vermissen, sie war so süß gewesen. Und sich selbst hatte er auch keinen Gefallen erwiesen. Seitdem ein weiterer, für seine »Geschäftsfreunde« wesentlich nützlicherer Partner in die Sache eingestiegen war, war er selbst im Grunde
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