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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Nadel
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sich aufzubringen, denn schließlich wollte niemand einen Krieg in den Straßen Istanbuls.
    »Ach, Inspektor …«
    İkmen, der gerade zusammen mit Tepe den Bereitschaftsraum verlassen wollte, sah sich um und erblickte die kleine, gepflegte Gestalt von Metin İskender. Der in Wolken von Rasierwasser gehüllte Mann trug einen eleganten Anzug, den İkmen an ihm noch nicht gesehen hatte und bei dem es sich wohl um ein weiteres Geschenk seiner sehr erfolgreichen Frau handeln musste.
    İkmen und Tepe blieben stehen. »Ja?«
    »Hat der Polizeipräsident schon mit Ihnen darüber gesprochen, dass Sie Hikmet Sivas’ Hintergrund durchleuchten sollen?«
    İkmen runzelte die Stirn. »Nein. Aber da mein Vorgesetzter mich seit vielen Jahren kennt, weiß er, dass ich das sowieso mache. In Situationen wie dieser liefert die Vergangenheit häufig sehr nützliche Informationen. Warum fragen Sie?«
    »Ach, er erwähnte es nur bei einer privaten Besprechung, die ich gestern Abend mit ihm hatte.« İskender legte eine besondere Betonung auf die Worte »privat« und »ich«.
    »Tatsächlich?« İkmen sah Tepe an und lächelte. »Dann trifft es sich ja gut, dass ich heute Morgen schon ein wenig recherchiert habe, nicht wahr, verehrter Kollege?«
    »Hm, ja.«
    İskender versuchte, möglichst schnell wieder zur Tagesordnung überzugehen und sich an seine Arbeit zu machen, zu der auch die Überwachung des Anwesens der Familie Sivas gehörte. Doch so leicht ließ İkmen den jüngeren Inspektor, für den Rang und Status – und natürlich Reichtum – wichtiger waren als alles andere, nicht davonkommen, auch wenn er ihn bereits in seine Schranken gewiesen hatte.
    »Ich habe sogar schon einen alten Freund von Herrn Sivas aufgespürt, einen Mann, der ihn bereits kannte, bevor er berühmt wurde.« İkmen lächelte. »Wachtmeister Tepe hat schon mit ihm gesprochen, stimmt’s, Tepe?«
    »Ja, Chef.«
    »Oh. Gut.« İskender bedachte Tepe mit einem säuerlichen Lächeln. »Gut gemacht.« Und dann marschierte er den Flur hinunter, als hätte er einen Besenstiel verschluckt.
    İkmen schüttelte nur lächelnd den Kopf. Armer İskender. Normalerweise waren seine Versuche, sich selbst ins rechte Licht zu rücken, von Erfolg gekrönt, aber nicht bei ihm. Er war schließlich noch immer der leitende Beamte in diesem Entführungsfall, und er würde nicht zulassen, dass irgendjemand das vergaß, auch nicht İskender.
    »Also werden Sie heute vormittag mit Ahmet Sılay reden, Chef?«, fragte Tepe, während er seinem Vorgesetzten in Richtung Parkplatz folgte.
    »Ja. Und wenn ich schon mal dort bin, stelle ich ihm auch gleich ein paar Fragen über Hatice İpeks Verhältnis zu Hassan Şeker«, erwiderte İkmen. »Nachdem ich gestern mit Herrn Sivas gesprochen habe, bin ich mir nicht mehr so sicher, ob Sılays Aussage wirklich zuverlässig ist.«
    »Ich dachte, wir sollten uns nicht mehr um den Fall kümmern, da das Mädchen ja eines natürlichen Todes gestorben ist«, meinte Tepe.
    İkmen holte die Autoschlüssel aus seiner Jackentasche.
    »Stimmt«, sagte er. »Ardiç hätte das gerne, aber ich bin entschlossen, jede neue Spur zu verfolgen. Und da Herr Sılay zufälligerweise mit beiden Fällen etwas zu tun hat …«
    »Verstehe.«
    »Wie ich Ihnen ja schon sagte, Tepe, habe ich aus einer anderen, unabhängigen Quelle die Information erhalten, dass die Umstände von Hatices Tod sehr verdächtig sind.«
    »Richtig. Von dem Informanten, der meinte, eine der Familien habe die Finger im Spiel, und der die Heper-Schwestern erwähnte, die Sie noch aufsuchen wollen.« Sie hatten kurz darüber gesprochen, als İkmen am Morgen ins Büro gekommen war.
    »Ja.« İkmen seufzte. »Ein Mensch von zweifelhaftem Charakter, dessen Hinweise man aber dennoch nicht ignorieren sollte.«
    Tatsächlich hatte ihn das, was Ratte ihm am Abend zuvor mitgeteilt hatte, fast die ganze Nacht beschäftigt. Dabei stand jedoch die Frage, ob sich die Mafia in diese Form der Prostitution eingekauft hatte, nicht im Zentrum seines Interesses. Je länger er darüber nachdachte, desto absurder erschien ihm die Idee, dass junge Frauen sich wie Odalisken kleideten und verhielten. Soweit er wusste, hatten sich die Odalisken durch ihre sexuelle Passivität ausgezeichnet. Es hieß, sie hätten reglos wie ein Stück Holz auf dem Bett gelegen und kaum mehr als ihre Körperöffnungen dargeboten, in denen sich die fürstlichen Herren Erleichterung verschafften. Moderne Männer benötigten gewiss etwas mehr

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