Im Gewand der Nacht
Stimulation, und bei Hatices Vergewaltigung war das mit Sicherheit der Fall gewesen. Arto Sar kissian hatte Sperma von drei verschiedenen Männern in Unterleib und Mund des Mädchens gefunden. Soweit İkmen bekannt war, hatte kein Sultan jemals seine Freunde zu einer Massenvergewaltigung eingeladen, doch er nahm sich vor, Süleyman bei nächster Gelegenheit nach den Palastgepflogenheiten zu fragen. Wer außer einem Prinzen sollte sonst etwas darüber wissen?
Hikmet Sivas hatte nicht die geringste Ahnung, wie die Kiste in sein Schlafzimmer gelangt sein konnte. Schließlich war sie nicht gerade klein: etwa fünfundsiebzig Zentimeter hoch und ziemlich breit. Seit eineinhalb Tagen hatte außer der Polizei und ihren Spezialkräften niemand das Haus betreten, auch keine Postboten oder irgendwelche Lieferanten. Vedat war einmal in Begleitung eines Polizisten Zigaretten holen gegangen, aber das war auch schon alles. Außerdem hätte sein Bruder es ihm gesagt, wenn er die Kiste in sein Schlafzimmer gestellt hätte.
Hikmet wusste, dass er einen der Polizeibeamten rufen sollte. Vielleicht enthielt die Kiste ja eine Bombe oder – wie es einem Fernsehstar in den Vereinigten Staaten widerfahren war – einen besonders kleinwüchsigen Fan. Aber im Grunde glaubte Hikmet nicht daran: Es handelte sich höchstwahrscheinlich um eine wie auch immer geartete Botschaft von den Entführern. Und was das betraf, hatte er bereits den Fehler gemacht, die Polizei überhaupt einzuschalten. Falls die Kiste also tatsächlich von den Kidnappern stammte, sollte er ganz gewiss nicht Wachtmeister Çöktin oder einen seiner Kollegen hinzuziehen. Es wäre besser, die Kiste zu öffnen und die möglichen Konsequenzen allein zu tragen. Wenn sie eine Bombe enthielt und er sterben würde, dann wäre das eben Kismet.
Hikmet ging hinüber zum Schreibtisch, der neben seinem Bett stand, und nahm den Brieföffner von der Tischplatte. Die Kiste war zwar aus Holz, aber allem Anschein nach handelte es sich um Balsaholz, das einem stumpfen Messer nicht allzu viel Widerstand bieten sollte. Doch sie ließ sich nicht so einfach öffnen, und nach mehreren vergeblichen Versuchen gab Hikmet erst einmal auf. Keuchend und wegen der Mittagshitze stark schwitzend, ließ er sich auf sein Bett sinken. Und da bemerkte er die Nachricht.
Da die Kiste bei seinem Erwachen am Morgen noch nicht dort gestanden hatte – sie musste irgendwann zwischen sieben und kurz vor zwölf in sein Schlafzimmer gebracht worden sein –, hatte er sie aus diesem Winkel noch nicht betrachtet.
Doch jetzt sah er einen kleinen, hellgelben Briefumschlag, der mit Klebeband an der Seite befestigt und an ihn adressiert war. Hikmet holte ein paar Mal tief Luft, um sich etwas zu beruhigen, beugte sich anschließend vor und löste den Umschlag vom Holz. Dann drehte er ihn um. Die Umschlagklappe war nicht zugeklebt, sondern nur eingesteckt. Vorsichtig öffnete Hikmet den Umschlag und warf einen Blick hinein.
Es steckte ein gefalteter Zettel darin, den er vollständig herausziehen musste, um die Nachricht lesen zu können. In dem Moment jedoch, als er den Inhalt der Botschaft erfasste, wich jegliche Farbe aus seinem Gesicht, und er musste sich eine Ecke der bestickten Tagesdecke in den Mund stopfen, um nicht laut loszuschreien und die Polizisten in der unteren Etage zu alarmieren.
Jetzt ist alles aus, dachte er, während er durch sein Schlafzimmer zum Fenster taumelte, ich muss hier raus und G. die Wahrheit sagen. Jetzt habe ich nichts mehr zu verlieren.
»Hikmet war bestenfalls ein mittelmäßiger Schauspieler. Er konnte eindimensionale Helden verkörpern, aber mehr auch nicht.«
Es war erst kurz vor ein Uhr mittags, und Ahmet Sılay hatte bereits getrunken. Beim Sprechen gestikulierte er wild mit den Armen, um seinen Argumenten Nachdruck zu verleihen.
»Seine Darstellung des bösen Generals Bekir Paşa in seinem letzten Film für Yeşilcam war wirklich schrecklich«, fuhr Sılay fort. »Als er Istanbul verließ und erzählte, er wolle ein Star in Hollywood werden, hat ihm niemand geglaubt. Ich habe ihn sogar ausgelacht.«
»Aber er hat Erfolg gehabt, nicht wahr?«, wandte İkmen ein. »Im Gegensatz zu Ihnen.«
Sılay nahm einen neuerlichen Schluck aus seiner Rakiflasche, bevor er antwortete. »Ja, das stimmt. Aber sein Erfolg hatte nichts mit Talent zu tun.«
»Womit dann, Herr Sılay?«
Der alte Schauspieler beugte sich lächelnd zu seinem Besucher vor. Sein Atem, dachte İkmen, hätte
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