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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Nadel
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Sivas’ möglichen Aufenthaltsort würden sie sich bei der Suche im Kreis drehen. Andererseits hatten weder Hale noch Vedat Sivas sich bisher besonders entgegenkommend gezeigt. Die Frau hatte unter Tränen frömmelnde Klagen angestimmt, während ihr Bruder mit grauem Gesicht, wie unter Schock, schweigend dasaß. Zweifellos waren beide zutiefst erschüttert und würden bald reden, dessen war sich İkmen sicher. Doch was konnten sie ihm erzählen? Ihr Bruder Hikmet lebte seit über vierzig Jahren nicht mehr in dieser Stadt, woher sollten sie also wissen, wohin er sich wenden würde? Wenn sie allerdings ebenfalls Kontakt zu den Familien hatten, sah die Sache anders aus. İkmen hielt es für unwahrscheinlich, dass Hikmet irgendetwas mit der Entführung und dem Tod von Kaycee zu tun hatte. Es sah eher so aus, als hätte er nur die Botschaft gelesen, die in einem Umschlag an die Kiste geheftet war, sofort gewusst, was sie bedeutete und sich dann in seiner Qual aufgemacht, seinem Schicksal gegenüberzutreten – entweder das, oder er war einfach in panischer Angst davongelaufen. Die in türkischer Sprache verfasste Botschaft war exakt auf diesen Mann gemünzt, dessen Faszination für die Geschichte seines Volkes bekannt war und den man in seinen frühen Hollywoodtagen nicht umsonst den »Sultan« genannt hatte.
    Obwohl Ardiç kein Mann war, der auf seine Intuition vertraute, beschäftigte auch ihn die Tatsache, dass es sich um einen Brief in türkischer Sprache handelte.
    »Meines Erachtens lässt das nicht gerade auf die Mafia schließen«, sagte er und beobachtete die sanften Muster, die die Lichtreflexe des Bosporus an die Decke des riesigen Salons warfen. »Oder haben Sie jemals einen Amerikaner getroffen, der Türkisch spricht? Die brauchen da drüben kein Türkisch. Und was die Sizilianer angeht …«
    İkmen seufzte. Er konnte nicht einschätzen, ob Ardiç sich absichtlich so begriffsstutzig anstellte oder ob er einfach nur dumm war. »Ich glaube kaum«, sagte er gepresst, »dass die türkische Sprache so unbekannt ist, dass international operierende Verbrechersyndikate niemanden kennen, der sie beherrscht.«
    »Ich bezweifle, dass unsere Familien hier ihre eigene Muttersprache schreiben können.«
    »Wir reden aber nicht über unsere Familien!«
    »Heute Morgen bei der Besprechung haben wir das noch getan.«
    »Ja, weil Inspektor İskender aufgrund der Stille in den Straßen der Meinung war, sie könnten etwas damit zu tun haben«, erwiderte İkmen. »Aber die Kiste mit Kaycees Kopf, die offenbar von einem Dschinn in dieses Haus gezaubert wurde, in Kombination mit den Informationen, die ich heute von Ahmet Sılay bekommen habe, deuten auf einen Grad an Organisation hin, der weit über das hinausgeht, was wir in Edirnekapı finden. Laut İskender haben Sie persönlich darauf gedrängt, ich solle mehr über Sivas’ Vorleben herausfinden. Ich denke, ich werde mit seinem Agenten anfangen, diesem Gee.«
    »Hmmm … wir sollten vorsichtig sein, İkmen.« Ardiç runzelte die Stirn. »Sivas ist ein hoch angesehener Filmstar, der vor einigen Jahren die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hat. Er gehört jetzt zu denen. Unser Land unterhält gute Beziehungen zu den USA, und jede Andeutung, eine ihrer Verbrecherorganisationen operiere bei uns in der Türkei, muss sehr gut begründet sein, oder das Ganze könnte als Beleidigung ausgelegt werden und für uns extrem peinlich enden.«
    Verärgert warf İkmen die Arme in die Luft. »Oh bitte, lasst uns bloß nicht die Amerikaner beleidigen oder vor ihnen dumm dastehen!« Dann heftete er den Blick auf Ardiç. »Ist Ihnen vielleicht schon mal in den Sinn gekommen, dass die amerikanischen Polizeibehörden froh über eine solche Information sein könnten? Wenn wir mit ihnen reden, können wir vielleicht in Erfahrung bringen, wie sie die Sache sehen. Das ist alles, was ich will.«
    »Also gut! Also gut!«, seufzte Ardiç, scheinbar geschlagen. »Aber ich werde mit ihnen sprechen, nicht Sie. Wenn Sie wollen, rede ich auch mit diesem Agenten. Und ab sofort hüllen wir uns in Schweigen, was diesen Fall betrifft. Die Medien werden nicht weiter über die Angelegenheit berichten, darum habe ich mich schon gekümmert.«
    »Aber Chef …«
    »Ich leite jetzt die Ermittlungen.« Ardiçs Augen loderten kurz auf. »Und ich erlaube nicht, dass Sie hier hinausspazieren und hinter meinem Rücken Ihren eigenen Theorien und Mutmaßungen nachgehen.« Er sah İkmen unverwandt an. »Ich weiß,

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