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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Nadel
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welchen Tagen?«, fragte İkmen.
    Vedat spürte, wie sich seine Blase erneut zu leeren begann.
    »Nein.«
    »Also glauben Sie nicht, dass er eine Ihrer Arbeitsstätten aufgesucht haben könnte, um dort auf Sie zu warten? Beide Hotels und der Palast sind riesige Komplexe; ein Mann könnte sich dort tagelang verbergen.«
    »Aber Hikmet weiß, dass ich Urlaub habe.«
    »Ach richtig«, lächelte İkmen. »Natürlich.«
    »Ich verstehe nicht, warum wir hier noch sitzen, während unser Bruder sich in den Händen von Mördern befindet«, sagte Hale, deren Augen inzwischen feucht glänzten. Obwohl sie sich immer hart und unnahbar gab, war sie in Wirklichkeit sehr weichherzig, vor allem, was Hikmet betraf. Solange er gelegentlich einen ihrer frommen Monologe ertrug, konnte er tun und lassen, was er wollte.
    »Wir stellen Ihnen all diese Fragen, weil wir Ihren Bruder so schnell wie möglich finden wollen«, sagte der ältere, dicke Polizist.
    »Aber wenn eine Mörderbande ihn hat …«
    »Glauben Sie, dass mein Bruder seine Frau vielleicht selbst getötet hat?«, erkundigte sich Vedat. Wahrscheinlich war es dumm, so etwas zu fragen. Aber er musste es wissen, musste versuchen herauszufinden, was die Polizisten eigentlich dachten.
    Die Beamten wechselten einen Blick. Dann sagte İkmen, wieder mit einem Lächeln: »Nein, das glauben wir nicht.«
    Vedat spürte, wie ihm alles Blut aus dem Gesicht wich.
    »Oh.«
    Zu spät wurde ihm klar, dass seine Reaktion viel zu verhalten ausgefallen war. İkmen hatte schon fast seine Ausführungen darüber beendet, wie absurd diese Annahme sei, als es Vedat endlich gelang, erleichtert auszusehen.

12
    Trotz ihres fortgeschrittenen Alters von weit über sechzig Jahren waren Muazezz und Yümniye Heper immer noch moderne Frauen. Wie Kemal Atatürk hatte auch ihr Vater, General Heper, die Ansicht vertreten, Frauen könnten ebenso arbeiten wie Männer, sie könnten »männliche« Entscheidungen treffen und seien genauso viel wert wie Söhne. Die Heper-Schwestern waren Schneiderinnen geworden, weil ihnen das Nähen Spaß machte und sie Mode liebten – und nicht, weil sie glaubten, ihnen stünde nur »Frauenarbeit« offen. Doch selbst jetzt kleideten sie sich weder wie Schneiderinnen noch wie Vogue -Models.
    Şoför Nebahat – Nebahat der Taxifahrer – war ein Film, der sich in den fünfziger Jahren großer Beliebtheit erfreut hatte. Darin wurde die Geschichte einer Taxichauffeurin erzählt, die Männerkleidung trug und sich an den kumpelhaften Späßen ihrer männlichen Kollegen beteiligte. Obwohl sie stets keusch blieb, war Nebahat in dieser Männerwelt ganz und gar akzeptiert. Die Heper-Schwestern waren zwar viel zu vornehm, um sich wie ein Taxifahrer aufzuführen, dennoch kleideten sie sich beide wie Nebahat. Vor allem Fräulein Muazzez, daran erinnerte sich İkmen, hatte ein ausgesprochenes Faible für Lederjacken und strapazierfähige Hosen aus dickem Stoff. Beim Gedanken daran musste er lächeln, während er über die Nuhkuyusu Caddesi auf die schiefe Fassade des Heperschen Hauses zuschlenderte. In diesem Teil von Üsküdar gab es nicht mehr viele solcher Holzhäuser – nur dieses eine und ein etwas kleineres Exemplar unweit des Friedhofs, in dessen Nähe İkmen aufgewachsen war.
    Er stieß die inzwischen recht morsche Gartenpforte mit dem Fuß auf und betrachtete einen Moment lang das Haus der Heper-Schwestern, das auf einem beachtlichen, wenn auch ziemlich verwahrlosten Grundstück stand – genau zwischen einer Tankstelle und einer Zeile hässlicher Ladenlokale, die in den siebziger Jahren erbaut worden war. Wie das Haus seines Vaters war auch dieses Haus schon immer schwarz gewesen, doch nun wirkte die Fassade schmutzig, und die Farbe blätterte von den Säulen ab, die den verzierten Balkon trugen. Auch das Dach hatte einige Löcher. Als er die Stufen betrat, die zur Haustür hinaufführten, quietschten die Holzplanken unter seinem Fliegengewicht. Er stellte die Tasche neben sich ab, in der das Kleid lag, das Hatice İpek zum Zeitpunkt ihres Todes getragen hatte, und drückte auf die Klingel. Während er darauf wartete, dass jemand an die Tür kam, schaute İkmen sich noch einmal zur Straße um. Eine kleine Frau mittleren Alters mit leuchtend roten Haaren stand am Gartentor und starrte ihn durchdringend an. Es irritierte ihn, und er wollte ihr gerade etwas zurufen, als hinter seinem Rücken die Haustür geöffnet wurde.
    Wie erwartet ließ Yümniye Heper ihn ein – schließlich wusste

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