Im Glanz Der Sonne Zaurak
alles selbst entscheiden will – eigentlich passen sie doch gut zueinander. Warum kommen sie nicht miteinander aus?
Der Stollen schlängelt sich in komplizierten Windungen durch die Tiefe. Alles ist still – eine gespenstische Ruhe. Nur das Tappen ihrer Skaphanderstiefel schallt durch den Gang. Aber die Stille währt nicht mehr lange. Nach wenigen Schri t ten, die sie um zwei Biegungen führen, bleiben sie wie angewurzelt stehen. Ganz deutlich ist ein Geräusch zu hören! Ein Schurren und Schlurfen wie von Hunderten müden Füßen. Als schleppe sich ein gigantischer Tausendfüßler durch einen benachbarten Stollen!
„Da sind sie!“ preßt Leander hervor. „Komm!“ Er hastet vorwärts.
Algert ist erst wie gelähmt. Er hat erwartet, daß sie nun umkehren würden, aber nein, Leander denkt gar nicht daran! Algerts Angst steigert sich zur seelischen Qual. Allein wagt er sich nicht zurück, er braucht Leanders Nähe, den Schutz der starken Fäuste, die tollkühne Unerschrockenheit! Wie von tausend Teufeln gehetzt, rennt er Leander hinterher. Als er dicht hinter ihm ist, verliert sich seine Furcht und weicht einem seltsamen Gefühl der Geborgenheit.
Plötzlich bleibt Leander abrupt stehen. Über seine Schulter hinweg sieht Algert eine Bewegung. Dann bemerkt er Leanders gestreckten Arm und die Faust, die den Handwerfer umkla m mert. „Nicht schießen!“ stößt er verzweifelt hervor, einem inneren Impuls folgend. Leander läßt zögernd den Arm sinken.
Vor ihnen kreuzt ein anderer Stollen den Gang, in dem sie sich befinden. Durch diesen Stollen kriecht eine nicht enden wollende Schlange von Asseln. Sie stoßen und schieben sich, kriechen übereinander hinweg und drängen sich zur Seite. Fast sieht es nach Panik aus. Aber nach und nach erkennen sie, daß die Tiere nicht fliehen, sondern eher einem bestimmten Ort zustreben.
Obwohl sie deutlich sichtbar im Stollen stehen, nehmen die Asseln keine Notiz von ihnen. Wie ein blinder Wurm kriecht der Strom der Tiere durch den unterirdischen Gang. Tausende sind es, und noch immer ist kein Ende abzusehen. Die beiden Kadetten warten ab. Nach mehr als einer halben Stunde wird die Schlange der drängenden Tiere dünner, fällt langsam ause i nander. Vorsichtig gehen Leander und Algert weiter, als sie annehmen dürfen, daß die letzten Asseln die Kreuzung passiert haben. Leander schlägt sofort die Richtung ein, in die sich die Tiere gewendet haben. „Leander, das waren Tause n de!“ warnt Algert. „Na und? Sie haben sich absolut nicht um uns gekü m mert, obwohl sie uns gesehen haben müssen! Komm schon!“
Algert fügt sich. Er kann gar nicht anders. Um so überrasc h ter ist er, als Leander stehenbleibt, ihm die Hand auf die Schulter legt und sagt: „Ich weiß, wie dir zumute ist! Meinst du, mir geht es anders? Aber begreife doch: Das ist eine einmalige Chance, die wir nicht ungenutzt verstreichen lassen dürfen! Jetzt stecken wir so weit drin, daß wir ruhig weiterm a chen können. Wenn wir etwas Wichtiges feststellen, müssen wir es sowieso Ahab melden…“
Algert unterbricht ihn. „Bist du verrückt?! Der reißt uns den Kopf ab! Wir hatten doch ausgemacht, daß…“
Leander fällt ihm ins Wort: „Denk doch nicht nur an dich!“
Algert sieht ihn erstaunt an und sagt: „So etwas von dir?“
Drei Sekunden lang funkelt ihn Leander wütend an. Dann lacht er auf. „Du hast wieder mal recht. Muß sich komisch anhören, wenn ich so etwas sage. Aber meinst du nicht, wir beide haben uns irgendwie verändert?“
„Du weißt gar nicht, wie recht du hast…“, murmelt Algert. „Also gut. Weiter!“
Die entsicherten Handwerfer in den Fäusten, schleichen sie den Asseln hinterher. Der Gang beschreibt einen sanften Bogen. Leander tritt so behutsam wie eine Katze auf. Die Kautschu k sohlen seiner Stiefel schmiegen sich wie weiche Tigerpfoten an den Boden. Auch Algert bewegt sich so geräuschlos wie möglich. Seine Nerven scheinen wie Violi n saiten zu vibrieren.
„Achtung!“ flüstert Leander. „Da vorn sind welche!“ Algert will stehenbleiben, aber Leander schleicht weiter, wie von einer magischen Kraft getrieben. Jetzt sieht es auch Algert: Sie nähern sich einer zweiten Höhle, und in dieser Höhle wimmelt es von Asseln. Nein – wimmeln ist nicht der richtige Ausdruck, denn da vorn bewegt sich nichts. Die Asseln sind wie erstarrt! Immer näher wagt sich Leander an die unheimlichen Rieseni n sekten heran. Endlich hält er an, und Algert atmet erleichtert auf.
Weitere Kostenlose Bücher