Im Hauch des Abendwindes
sie zögernd.
Als sie Gavin einmal zum Kaffee eingeladen hatte, hatte er ihr erzählt, er habe eine Freundin. Sie wusste aber nicht, wer diese Freundin war, weil sie ihn sowohl mit Ruby als auch mit einem anderen Mädchen gesehen hatte. Und mit ihr hatte er auch ganz schön geflirtet. Falls Ruby seine richtige Freundin war, konnte sie einem wirklich leidtun.
Irgendetwas an Kellys Gesichtsausdruck machte Ruby misstrauisch. Sie blickte zum dritten Stock hinauf zu Gavins Wohnung, und genau in diesem Moment ging die Tür auf. Rubys Herz machte einen kleinen freudigen Hüpfer. Er war da! Er zog nicht mit Chrissie durch die Gegend. Gavin trat auf den Laubengang hinaus. Ruby wollte ihn gerade rufen, als sie noch jemanden aus der Wohnung kommen sah – es war Chrissie. Ruby schnappte nach Luft, als hätte ihr jemand in den Magen geboxt. Als Gavin sich der Grünfläche zuwandte, duckte Ruby sich blitzschnell hinter Diane. Vorsichtig lugte sie nach oben. Gavin und Chrissie hielten sich an den Händen und küssten sich liebevoll.
Ruby klappte der Unterkiefer herunter. Dann stimmte es also, was die Leute erzählten. Eine Vielzahl unterschiedlichster Emotionen erfasste sie, vor allem eine ohnmächtige Wut. Sie sah Diane an und wurde rot. Diane machte ein mitfühlendes Gesicht.
»Tut mir echt leid, Ruby. Männer können so gemein sein.«
Sie hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ihr eigener Ehemann mit seiner Geliebten durchgebrannt war. Sie wusste also, was in Ruby vorging. Dennoch fühlte sich diese zutiefst gedemütigt. Ihre Verlegenheit wurde noch größer, als sie Kelly fragen hörte, ob Ruby Gavins Freundin sei, und Diane antwortete, sie sei seine Verlobte.
Das war mehr, als Ruby ertragen konnte. Doch sie war nicht der Typ, der sich einfach still und leise davonstahl, um seine Wunden zu lecken. Zum einen hatte sie ihren Stolz, und zum anderen war sie außer sich vor Wut und Empörung. Sie richtete sich auf und stapfte über den Rasen auf das Haus zu, in dem Gavin wohnte. Er machte keine Anstalten, sich von Chrissie zu lösen; sie knutschten immer noch ungeniert. Ruby überlegte, was sie tun sollte. In Tränen ausbrechen und eine Erklärung verlangen? Gavin beschimpfen? Ihre Verlobung auflösen? Nichts davon schien ihr angemessen. Gavin hatte sie zutiefst verletzt und öffentlich gedemütigt, und das würde sie nicht auf sich sitzen lassen. Sie war entschlossen, es ihm heimzuzahlen.
»Gavin!«, rief sie.
Als er Rubys Stimme hörte, zuckte Gavin zurück, als hätte er sich an der Blondine verbrannt. Er fuhr herum und starrte nach unten. Sein völlig verdutzter Gesichtsausdruck war einfach köstlich.
»R-r-ruby«, stotterte er schuldbewusst. »Was machst du denn hier? Dich habe ich nicht erwartet.« Eigentlich hatten sie sich wie meistens am Samstag zum Abendessen treffen wollen.
»Ja, das sehe ich.« Ruby kämpfte verbissen gegen die Tränen an. Sie würde ihm ganz sicher nicht den Gefallen tun und zu weinen anfangen. »Ich dachte, du müsstest heute arbeiten.«
»Ja … äh … ich … äh …«
Ruby schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. Seine Lügen konnte er sich sparen. Sie hatte ihn in flagranti mit einer anderen erwischt, und das sollte er ihr büßen. Sie würde ihn genauso demütigen, wie er sie gedemütigt hatte. Sie hatte auch schon eine Idee. Keine besonders feine zwar, aber eine, die ihr mit Sicherheit Genugtuung bereiten würde.
»Ich bin hergekommen, weil ich dir sagen wollte, dass ich heute beim Arzt war«, rief sie zu ihm hinauf, so laut, dass alle in dem kleinen Park es hören mussten.
Sie wartete einen Augenblick und genoss die Verwirrung, die sich auf seinem Gesicht widerspiegelte.
»Beim Arzt«, wiederholte er benommen.
Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren. Er hatte keine Ahnung, worauf Ruby hinauswollte, aber er kannte sie lange genug, um zu wissen, dass mit ihr nicht gut Kirschen essen war, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlte.
»Ganz recht. Weißt du, ich habe schon seit Wochen diesen merkwürdigen Juckreiz, deshalb dachte ich mir, ich sollte mal nachsehen lassen.« Ruby sah, wie Gavin in totaler Fassungslosigkeit Mund und Augen aufriss. Sie merkte auch, dass ihr Publikum die Ohren aufmerksam spitzte. »Rate mal, was der Doktor gesagt hat! Er hat gemeint, ich hätte eine ansteckende Krankheit, du weißt schon, und du seist derjenige, der mich infiziert hat. Du sollst vorbeikommen, damit er dich untersuchen und dir etwas verschreiben kann.« Einige
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