Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
seine Entscheidung getroffen hatte, wurde klar, mit welcher Entschlossenheit al-Rashid seine Wünsche durchsetzte. Er schloss die einflussreiche persische Familie Barmaki von der Macht aus und ging sogar so weit, seinen treuen Wesir Ja’far, der natürlich ein enger Vertrauter al-Ma’muns war, hinrichten zu lassen. [8]
Es scheint aber so, als sei Khurasan, das Geschenk al-Rashids an seinen ältesten Sohn, mehr als nur ein Trostpreis gewesen. Die Provinz hatte eine hohe Symbolkraft, denn von dort war Mitte des 8. Jahrhunderts die Revolution der Abassiden ausgegangen, die schließlich zur Machtübernahme von den Umayyaden, der ersten islamischen Dynastie, geführt hatte. Außerdem erhielt al-Mamun offenbar die absolute Macht über Khurasan, was ihm die Möglichkeit verschaffte, sich gegen seinen Bruder zu erheben. Hatte ihr Vater vorausgesehen, dass es so kommen würde? Hatte al-Rashid alles sorgsam so eingefädelt, dass es aussah, als würde er al-Amin begünstigen, um seine Frau und die Abassidenfamilie ruhigzustellen, während er gleichzeitig für al-Mamun eine Hintertür offen ließ, so dass dieser die Macht an sich reißen konnte, wenn er es wünschte? Mit Sicherheit kann man das nicht sagen; al-Rashids Motive müssen Gegenstand von Vermutungen bleiben. Es wurde die Spekulation geäußert, er habe bereits auf der berühmten Pilgerreise im Jahr 802 ernste Zweifel an al-Amins Eignung gehabt.
Im Jahr 805 brach in Khurasan ein Aufstand aus. Die Bewohner der Provinz erhoben sich gegen den Gouverneur und protestierten gegen unerträglich hohe Steuern. Die Lage verschlechterte sich schleichend, und 808 war al-Rashid gezwungen, persönlich mit seinem Sohn al-Ma’mun an der Spitze einer Armee nach Osten zu reiten, um die Rebellion niederzuschlagen. Obwohl al-Rashid erst Anfang vierzig war, erkrankte er durch die Strapazen der langen Reise quer über Berge und durch Wüsten, und schließlich starb er unterwegs. Mit seinem Tod änderte sich das ganze Kolorit des Feldzuges, denn nun übernahm al-Ma’mun automatisch das Gouverneursamt in diesem unsicheren Teil des Reiches. Der größte Teil der Armee seines Vaters desertierte jedoch, und die Soldaten kehrten zu ihren Familien nach Bagdad zurück. Dieser Rückschlag erwies sich für den 23-jährigen al-Ma’mun als nebensächlich: Nachdem er den Aufstand erfolgreich niedergeschlagen hatte, ging er sofort daran, seine Machtbasis zu festigen. Dabei half ihm sein enger Vertrauter und Berater al-Fadl ibn Sahl, ein Perser, der als Wesir an die Stelle von Ja’far aus der Familie Barmaki getreten war. Er senkte die hohen Steuern in der Provinz, was sich als höchst populärer politischer Schachzug erwies. Außerdem riet ihm al-Fadl mit nachdrücklichen Worten, sein öffentliches Ansehen zu verbessern. Al-Ma’mun war dafür bekannt, dass er guten Wein und die Gesellschaft schöner Sklavinnen liebte, aber wenn er gegenüber dem gerade erst eingesetzten al-Amin Anspruch auf das Kalifat von Bagdad erheben wollte, musste er sich als frommer Muslim zeigen. Währendessen baute er langsam und systematisch seine neue Armee auf, deren Soldaten er in ganz Zentralasien rekrutierte.
Zu Hause in der Hauptstadt ließ der neue Kalif die Muskeln spielen und bemühte sich darum, seine Autorität im Osten zu festigen. Er stellte die Funktion seines Bruders als Gouverneur von Khurasan in Frage und verlangte, dieser solle die Steuereinnahmen nach Bagdad schicken. Außerdem rief er diejenigen Armeeangehörigen, die al-Ma’mun gegenüber loyal geblieben waren, zurück und benannte sogar seinen eigenen Sohn anstelle seines Bruders als seinen unmittelbaren Nachfolger.
Sehr schnell wurde der bewaffnete Konflikt zwischen den Brüdern unvermeidlich. Al-Ma’mun hatte das Glück, dass der loyale und höchst kompetente persische General Tahir in seinen Diensten stand: Dieser errang vor den Toren des heutigen Teheran einen ersten Sieg über al-Amins Armee und verschaffte al-Ma’mun damit die Kontrolle über große Teile Persiens. Al-Amin war nun zunehmend besorgt und appellierte vergeblich an seinen Bruder, er solle Vernunft annehmen und die Wünsche ihres Vaters respektieren; dann wandte er sich an seine Untertanen, um – vor allem unter den Arabern in Syrien – neue Soldaten anzuwerben. Aber al-Ma’muns Armee zog immer weiter nach Westen und stand im April 812 schließlich vor den Toren Bagdads. Damit begann die große Belagerung der Hauptstadt. Mittlerweile hatten die meisten Teile des Reiches
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