Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
glorreiches Ende.
Wir sollten uns aber nicht allzu sehr von dem Bild al-Ma’muns als des würdigeren der beiden Brüder begeistern lassen. Sieht man die Literatur über den Bürgerkrieg oberflächlich durch, scheint sie auf den ersten Blick überwältigende Unterstützung für al-Ma’mun zu liefern – was nicht allzu verwunderlich ist, wurden doch die Quellen nach seinem Sieg verfasst, so dass die Autoren den Eindruck erwecken mussten, auf der richtigen Seite zu stehen. In Wirklichkeit war al-Amin in den ersten vier Jahren seiner Herrschaft trotz seiner Schwäche ein relativ beliebter Kalif. Und was noch wichtiger war: Dies war zwar nicht der erste Fall eines Königsmordes in der islamischen Geschichte, es war aber das erste Mal, dass ein Kalif aus dem Geschlecht der Abassiden ein gewaltsames Ende fand. Deshalb hinterließ das Ereignis im kollektiven Bewusstsein der islamischen Gesellschaft eine unauslöschliche Spur. Al-Mas’udis Bericht über Zubaydas Träume scheint also ein übermäßig hartes Bild von al-Amin zu zeichnen und ist mehr der Heldenverehrung des Historikers sowie seiner Unterstützung für al-Mamun geschuldet.
Dennoch sieht es so aus, als habe al-Ma’mun beim Tod seines Bruders eine zweifelhafte Rolle gespielt. Mehrere Historiker berichten, Tahir habe von Bagdad eine Botschaft an al-Ma’mun geschickt und gefragt, was er mit al-Amin anfangen solle, wenn er diesen gefangen genommen habe. Daraufhin soll al-Ma’mun dem General ein Hemd geschickt haben, das keine Öffnung für den Kopf hatte. Dies interpretierte Tahir als Wunsch seines Herrschers, den Halbbruder enthaupten zu lassen; sobald er des Kalifen habhaft geworden war, führte er al-Ma’muns Wunsch aus.
In manchen Berichten heißt es, al-Ma’mun habe den Kopf seines Bruders auf einem Pfahl im Innenhof seines Palastes in Merw zur Schau gestellt, nachdem seine siegreiche Armee ihn in einem zweiwöchigen, mehr als 1500 Kilometer langen Marsch von Bagdad mitgebracht hatte; außerdem habe er eine große Geldsumme unter seinen Befehlshabern verteilt und befohlen, dass jeder, der nach eigenem Ermessen damit für seine Dienste ausreichend belohnt sei, in den Hof kommen und die grausige Trophäe verfluchen solle. Andere arabische Historiker vertreten die Ansicht, die Entscheidung zur Hinrichtung al-Amins sei vor Ort von Tahir selbst gefällt worden, und al-Ma’mun sei entsetzt und betrübt gewesen, als er von den Vorgängen erfuhr. Nach diesen Behauptungen weinte er öffentlich, als man ihm al-Amins Kopf zeigte, und er verfluchte Tahir, weil dieser ohne Befehl eine solche Tat begangen hatte.
Al-Ma’mun blieb noch weitere fünf Jahre in Merw. Während dieser Zeit machte er sich bei einem Großteil seiner Untertanen im ganzen Riesenreich nicht gerade beliebt. Das lag unter anderem daran, dass er sich bemühte, die Spaltung zwischen den beiden Hauptrichtungen des Islam – Sunniten und Schiiten – zu überwinden. [10] Seine Vorliebe für die Schiiten war dabei so groß, dass er deren grüne Flagge an die Stelle der schwarzen Fahne der Abassidendynastie setzte. Zum Teil war es auch darauf zurückzuführen, dass er wie sein Vater große Sympathie für die Mu’tazila hegte, eine Denkschule, die nicht von allen Muslimen gutgeheißen wurde. Mit Sicherheit umgab er sich mit Sympathisanten der Mu’tazila, unter ihnen sein einflussreicher Berater al-Fadl. Er ging sogar noch einen Schritt weiter und erklärte, sein Nachfolger solle nicht ein Angehöriger aus seiner eigenen Familie sein, sondern Ali al-Ridha, ein Nachfahre Alis, des Vetters und Schwiegersohnes des Propheten und geistlichen Führers der Schiiten.
Diese letzte Entscheidung war bei den Sunniten im Irak äußerst unpopulär; in Bagdad entschloss sich sein Onkel Ibrahim, Anspruch auf das Kalifat zu erheben. Das war anscheinend der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: Al-Ma’mun überlegte es sich anders und machte sich nach Bagdad auf, um den Aufstand persönlich niederzuschlagen. Auf dem Weg nach Westen kamen seine beiden engsten Verbündeten, der persische Wesir al-Fadl und Ali al-Ridha, auf rätselhafte Weise ums Leben. Ali al-Ridha gilt unter den Schiiten als Märtyrer und achter Imam (Heiliger); sein Tempel in der Stadt Maschhad im Nordosten des Iran ist noch heute von großer religiöser Bedeutung.
Im Jahr 819 traf al-Ma’mun in Bagdad ein. Die verheerende Belagerung sechs Jahre zuvor war nur noch eine entfernte Erinnerung; die Stadt war größtenteils wieder aufgebaut
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