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Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Titel: Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim al-Khalili
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außerhalb der unmittelbaren Umgebung von Bagdad sich bereits zu Verbündeten von al-Ma’mun erklärt.
    Über ein Jahr hielt der belagerte Kalif der Armee seines Halbbruders und Thronanwärters, der weiterhin in Merw residierte, stand. Anfangs erhielt al-Amin von der Bevölkerung der Stadt, die nun in der Falle saß, unerwartete Unterstützung: Sie kämpfte mit groben, selbstgemachten Waffen gegen die gutausgerüsteten und gutausgebildeten Soldaten aus Khurasan. Tahir schien anfangs nicht in der Lage zu sein, die Verteidigung Bagdads zu überwinden, und er verstand auch nicht, welche Triebkraft hinter dem neuerwachsenen Widerstand aus der Stadt stand. Al-Amin, der im Qasr al-Khuld am Flussufer gewohnt hatte, zog sich hinter die befestigten Mauern der alten Stadtbefestigung zurück, die sein Urgroßvater al-Mansur, der Gründer Bagdads, errichtet hatte. Während Tahirs Streitkräfte durch die riesige Metropole vorrückten und dabei Mauern und Gebäude mit Katapulten angriffen, setzten al-Amins Leute ganze Stadtviertel in Brand, um die Feinde aufzuhalten. Als Tahir an den Mauern der Runden Stadt anlangte, lag Bagdad zum größten Teil in Trümmern.
    Der Dichter Abu Tamman, der im 9. Jahrhundert in Bagdad lebte, schrieb: »Der Todesbote hat sich erhoben, um Bagdad zu betrauern.« Er verglich die Stadt mit »einer alten Frau, deren Jugend sie verlassen hat und deren Schönheit dahingeschwunden ist«. [9] Angesichts der langen, blutigen Geschichte, die Bagdad seit jener Zeit noch erleben sollte, hört es sich seltsam an, dass sie schon ein halbes Jahrhundert nach ihrer Gründung als »alte Frau« bezeichnet wurde.
    Nach einer Belagerung von mehr als einem Jahr löste sich das Patt schließlich auf: Im Herbst 813 überredete Tahir die Kaufleute der Stadt, die Pontonbrücken über den Tigris zu zerstören, die den Verteidigern als entscheidende Verbindungswege gedient hatten. Das nun folgende Chaos bot der versammelten Armee aus dem Osten die Möglichkeit zum Angriff. Al-Amin, der die Niederlage kommen sah, befolgte den Rat seiner engsten Vertrauten: Diese überzeugten ihn davon, dass er in Zukunft die Gelegenheit zu einem Gegenschlag gegen seinen Bruder haben würde, wenn er in den Norden des Landes flüchtete und sich von dort nach Syrien oder Ägypten begab, wo er eine neue Machtbasis organisieren konnte. Aber Tahir hatte offensichtlich Wind von dem Plan bekommen: Er schickte den Soldaten, die noch loyal zu al-Amin standen, eine Botschaft und drohte ihnen, zur Vergeltung nicht nur ihren Besitz innerhalb Bagdads zu zerstören, sondern auch ihre Anwesen auf dem Land, wenn sie al-Amin nicht von seiner Entscheidung abbrachten. Wenig später wurde al-Amin von seinen Beratern »überzeugt«, dass es nützlicher sei, sich zu ergeben – eine Entscheidung, die sich für ihn als tödlich erweisen sollte.
    Die Ursache des Bürgerkrieges war zwar al-Rashids schlecht durchdachte Entscheidung über die Nachfolge – al-Amin war nie aus dem Holz einer großen Führungsgestalt geschnitzt –, er machte aber auch deutlich, dass das Abassidenreich erste Risse bekam. Es ging dabei nicht nur um die persönliche Rivalität zwischen den Brüdern, sondern auch um einen Konflikt zwischen unterschiedlichen politisch-religiösen Strömungen, die sich bereits während der vorausgegangenen Herrschaftszeit gezeigt hatten; al-Amin hatte das Schwergewicht auf Traditionen und arabische Kultur gelegt, während al-Mamun, der neuen philosophischen Denkrichtungen und äußeren Einflüssen aufgeschlossen gegenüberstand, sich die Unterstützung persischer Intellektueller gesichert hatte und ein überzeugter Anhänger des Mu’tazilismus war, einer rationalistischen Bewegung, die der wörtlichen Bedeutung des Koran ergebnisoffene Fragen und Untersuchungen gegenüberstellte.
    Der mittelalterliche Historiker al-Mas’udi berichtet, wie al-Amins Mutter Zubayda ihrem Sohn ein übles Schicksal vorausgesagt hatte: In drei verschiedenen Träumen erschien ihr jeweils eine andere Frau und beschrieb die zukünftige Herrschaft ihres Sohnes als despotisch, korrupt, schwach, ungerecht und übermäßig verschwenderisch. Jedes Mal wachte Zubayda in panischem Entsetzen auf. In einer letzten Vision traten alle drei Frauen gleichzeitig auf und verkündeten ihre schrecklichste Prophezeiung: Sie beschrieben nicht nur sehr anschaulich al-Amins gewaltsamen Tod (den er trotz seiner Unterwerfung unter Tahir erleiden sollte), sondern sie verteidigten ihn auch als passendes,

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