Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
meiner Überzeugung, dass sie heute besonders zeitgemäß ist und großen Widerhall finden kann: Wir sollten untersuchen, was das kulturelle und wissenschaftliche Denken des Abendlandes den Arbeiten zu verdanken hat, die arabische und persische, muslimische, christliche und jüdische Denker und Wissenschaftler vor 1000 Jahren leisteten. In den Zeittafeln, die man in populärwissenschaftlichen Berichten über die Wissenschaftsgeschichte findet, haben in der Regel zwischen der Zeit der alten Griechen und der europäischen Renaissance keine größeren wissenschaftlichen Fortschritte stattgefunden. In dieser Zwischenzeit, so erzählt man uns, befanden sich Westeuropa und – so wird damit unterstellt – auch die übrige Welt 1000 Jahre lang im dunklen Mittelalter.
In Wirklichkeit war das Arabische für eine Zeit von 700 Jahren die internationale Sprache der Wissenschaft. Es war die Sprache des Korans, des heiligen Buches des Islam, und damit auch die Amtssprache des riesigen islamischen Reiches, das sich Anfang des 8. Jahrhunderts u.Z. von Indien bis nach Spanien erstreckte.
Ich muss auch von vornherein darauf hinweisen, dass ich es mir nicht zur Aufgabe gemacht habe, die Wissenschaftsgeschichte der ganzen Welt zu behandeln. Mir ist sehr wohl bewusst, welche reichhaltigen, vielfältigen wissenschaftlichen Errungenschaften in anderen Regionen – insbesondere in China und Indien – erzielt wurden; über diese beiden prachtvollen Kulturen wurden schon viele Bücher geschrieben – und viele weitere werden zweifellos noch verfasst werden. Aber das ist nicht meine Geschichte.
Für mein Vorhaben war es eine große Hilfe, dass ich kürzlich die BBC-Fernsehserie Science and Islam produzieren konnte. Anders als in der Serie genieße ich aber in diesem Buch den Luxus, sowohl die wissenschaftliche Seite als auch die damit verbundenen sozialen, politischen und historischen Einflüsse und Folgen gründlicher untersuchen zu können. Die umfangreichen Reisen, die ich während der Produktion der Serie in der islamischen Welt unternahm, waren in zweierlei Hinsicht nützlich. Erstens – und das war vermutlich am wichtigsten – machten sie das Thema für mich auf eine ganz andere Weise lebendig als die vielen Bücher und Fachartikel, in denen ich zuvor gewühlt hatte. Und zweitens verschafften sie mir die Gelegenheit, Wissenschaftler und Historiker aus ganz unterschiedlichen Umfeldern kennenzulernen und meine Gedanken mit ihnen zu diskutieren. Ich hoffe, ich lasse ihnen in diesem Buch Gerechtigkeit widerfahren.
Natürlich wird manch einer den Verdacht hegen, dass ich, der ich im Irak aufgewachsen bin, die muslimische Welt durch eine rosarote Brille sehe, dass ich ein voreingenommener Parteigänger bin und allen zeigen will, was für eine großartige, aufgeklärte Religion der Islam ist. Als Atheist habe ich aber am Islam kein spirituelles, sondern ein kulturelles Interesse. Wenn also das Glaubenssystem des Islam ohne den Ballast der falschen Vorstellungen und Fehlinterpretationen vieler heutiger Muslime und Nichtmuslime in meinem Bericht in einem positiven Licht erscheint, dann ist es eben so.
Der Begriff »Islam« weckt heute zweifellos in den Ohren vieler Nichtmuslime auf der ganzen Welt ein bequemes, negatives Klischee, das im Gegensatz zu unserer abendländisch-säkularen, rationalen, toleranten, aufgeklärten Gesellschaft steht. Vor dem Hintergrund einer solchen bequemen Einstellung mag man unter Umständen nur schwer anerkennen, dass vor 1000 Jahren die umgekehrte Rollenverteilung herrschte. Man denke nur an die Kreuzzüge: Welche Seite war damals die aufgeklärtere, die kultivierte, die »gute«? Selbst jene in der westlichen Welt, die sich des Beitrages der muslimischen Welt zur Wissenschaft vage bewusst sind, neigen häufig zu dem Gedanken, dort seien nur Wissenschaft und Philosophie der Griechen noch einmal aufgekocht worden, wobei ein seltsames kleines bisschen Originalität hinzukam und wie ein orientalisches Gewürz den Geschmack verbesserte. Ein dankbares Europa hätte demnach eifrig sein Erbe wieder für sich beansprucht, nachdem es in der Renaissance des 14. und 15. Jahrhunderts aus seinem langen Schlaf erwacht war.
Ich werde viele Fragen behandeln, von denen Wissenschaftshistoriker schon lange fasziniert sind. Einige davon lauten: Wie viele wissenschaftliche Kenntnisse besaßen die Araber tatsächlich? Wie wichtig waren die Beiträge von persischer Kultur, griechischer Philosophie und indischer Mathematik? Wie
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