Im Haus des Wurms
verehrte.
»Hast du keine Angst, daß die Höhlen kälter werden?«
Annelyn lachte, und Riess lachte mit ihm. (Riess lachte immer, wenn Annelyn lachte, aber Annelyn vermutete, daß der fette Junge selten einen seiner Witze verstand.)
»Die Sonne lag schon im Sterben, lange bevor ich ins Haus des Wurms kam, und sie wird immer noch sterben, wenn ich längst wieder gegangen bin«, sagte er und drehte dem Fenster den Rücken zu. Er sah großartig aus in seinem Kostüm aus blauer Seide und Spinnengrau.
Über der Brust war das Theta-Zeichen eingestickt.
»Und was die Kälte anbelangt«, fuhr Annelyn fort, als er mit den Freunden zurück zur Festtafel ging, »so glaube ich nicht, daß die alte Sonne irgend etwas mit Wärme zu tun hat.«
»Das hat sie doch«, entgegnete Vermyllar, der sich als Champignonzüchter verkleidet hatte und braune Lumpen trug. Er und Caralee gingen im Gleichschritt mit Annelyn über den blanken Obsidian, der ihre raschen Bewegungen spiegelte. Riess konnte nicht mithalten. Er hatte sich als bronzener Ritter verkleidet und keuchte unter der Last des imitierten Waffenrocks.
»Hat dir das dein Großvater gesagt?« fragte Annelyn.
Riess lachte.
»Nein«, sagte Vermyllar und runzelte die Stirn. »Aber siehst du nicht, Annelyn, wie die Sonne einer heißen Kohle gleicht, die aus einem Kamin gestohlen wurde?«
»Vielleicht«, antwortete Annelyn. Er blieb neben der Weinbowle stehen und füllte zwei Kristallkelche mit schwerem, grünem Wein. Dann fischte er in der Bowle nach zwei Würmern, die sich ineinander verknotet hatten, und löffelte sie in Caralees Getränk. Sie lächelte über den unzweideutigen Antrag, als er ihr das Glas reichte. Das zweite Glas, in dem nur ein Wurm schwamm, trank er selbst und wandte sich wieder Vermyllar zu.
»Wenn die Sonne nichts als ein großes Stück Kohle ist«, sagte Annelyn, »brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Wir haben nämlich noch eine Menge kleinerer Kohlestücke auf Lager, und die Fackelträger können für Nachschub aus den Minen sorgen.«
Riess kicherte. Er hatte den Ritterhelm auf den Tisch gelegt und aß von einem Teller voll gewürzter Spinnen.
»Vielleicht hast du recht«, sagte Vermyllar. »Aber damit gibst du zu, daß die Sonne eine Kohle ist und dazu beiträgt, daß die Höhlen warm bleiben.«
»Nein«, sagte Annelyn. »Ich habe nur eine Mutmaßung angestellt. Tatsächlich halte ich die Sonne bloß für eine Art Ornament, die der Weiße Wurm in den Himmel gesetzt hat, damit wir Licht und einen Anlaß für Maskenbälle haben.«
Plötzlich wurden die drei Freunde von einem lauten, rauhen Lachen aufgeschreckt. Annelyns Lächeln verwandelte sich abrupt in Stirnrunzeln, als er merkte, daß dieses Lachen nicht seinem Witz sondern ihm galt.
Er stand auf und sah sich verärgert um.
Als er jedoch erkannte, wer da über ihn lachte, hob er lediglich seinen Kelch (und eine zierliche, blonde Augenbraue) und prostete seinem Gegenüber spöttisch zu.
Der Fleischbeschaffer (so wurde er genannt – bei seinem wirklichen Namen, wenn er einen hatte, nannte man ihn nie) brach das Lachen ab, und sofort entstand eine peinliche Stille. Er war klein und stämmig, einen Kopf kleiner als Annelyn und mit seinem glatten weißen Haar, seiner fleckigen, schmutzigbraunen Haut und breiten, flachen Nase häßlicher als jeder andere Yaga-la-hai. Sein vom Fackellicht rot getöntes Zerrbild im Spiegel der Wände war größer und hübscher als in Wirklichkeit.
Er war allein und unkostümiert zur Sonnenmaskerade gekommen und wirkte schrecklich fehl am Platz. Den Eintritt hatte man ihm nur deshalb gewährt, weil er ein Graunkind anbieten konnte. Statt eines Kostüms trug er seinen gewohnten Anzug aus milchweißem Leder, zusammengenäht aus Häuten toter Grauns. Über dem Anzug hing ein farbloses Cape aus gewebtem Graunhaar.
Im Hause des Wurms war seine großspurige Art allseits bekannt. Er trug die Häute und Haare seiner Graunopfer auf dem Körper zur Schau und brüstete sich damit, als Fleischbeschaffer allein in die tiefen, fensterlosen Höhlen vorzudringen.
Caralee sah ihn neugierig an. »Warum hast du gelacht?« fragte sie.
»Weil dein Freund komisch ist«, antwortete er. Seine Stimme klang heiser und kratzig. Annelyn war ein wenig empört, von einem so heruntergekommenen Mann, der dazu noch in der Weise der Fackelpfleger sprach, beleidigt zu werden. Schaulustige hatten sich mittlerweile um die kleine Gruppe versammelt. Die Yaga-la-hai liebten das Ungewöhnliche,
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