Im Heimlichen Grund
Blattsterne der Eberwurzdisteln, die hier verstreut wuchsen.Wie oft hatte er sich beim Ziegenhüten die Zeit damit vertrieben, Eberwurzen auszustechen, deren milchreiche Blütenböden nicht nur ihm geschmeckt hatten, sondern auch der Ahnl und der Eva. Die Blüten waren noch geschlossen. Ihre silbrig glänzenden Schöpfe ragten wie dicke Knospen aus dem Strahlenkranz der stachligen Blätter. Mit dem Zeigefinger bohrend und schabend bemühte er sich, eine der Pflanzen aus dem Boden zu holen. Es ging nicht. Die Pfahlwurzel steckte tief zwischen dem Gestein, und die stachligen Blätter ließen sich mit bloßen Händen nicht anfassen. Er sah sich nach etwas Scharfem um.
Unter den Bruchstücken kristallinen Kalkes, die in Menge umherlagen, fanden sich auch kantige Stücke, die aussahen, als wären sie von Menschenhand zugerichtet. Was ihnen an Schärfe abging, mußte der Druck der Hand ersetzen. Bald lag ein Dutzend Eberwurzen vor Peter, genug zum Frühstück für sie beide. Auf einer Felsplatte nahe am Ursprung des Bachs drückte er mit seinem groben Steinwerkzeug erst die Blätter ab, dann schabte er die geschlossenen Blütenblätter von ihren fleischigen Böden.
So fand ihn Eva. Sie kam langsam heran, als fiele ihr das Gehen schwer.
»Na, guten Morgen, Eva, ausgeschlafen?« begrüßte er sie, »was schleichst du denn so?«
»Mir tun die Fuß' so weh, ich glaub', sie sind geschwollen, und Hunger hab' ich. Hast die Geiß nit g'sehen?«
»Die Geiß? Ja, glaubst, die käm' her und ließ' sich melken? Da schau, 's Frühstück wartet schon. Daß du geschwollene Füß' hast, ist kein Wunder; weißt, wie lang du schon die Schuh anhast? Nacht und Tag und Nacht. Zieh sie aus und steck die Fuß' ins Wasser, da wird's dir gleich leichter werden.«
Eva ging zum Bach, doch bald schon kam sie zurück, barfüßig und weinend. Die Schuhe, die hatte der Bach fortgetragen, ganz fort.
»Na, deswegen brauchst du nicht weinen, schau mich an«, tröstete Peter, »jetzt sind wir halt gleich, ich bin schon seit vorigem Winter bloßfüßig.«
Dabei steckte er ihr eine Scheibe Eberwurz in den Mund. Die Sonne war indessen aufgegangen, und der Nebel löste sich vom Boden.
Die Kinder beobachteten zwei Gebirgsbachstelzen, die mitten im Gischt des Wassers auf überfluteten Steinen hin und her trippelten und mit den langen Schwänzchen wippten. Gespannt sahen sie, wie ein Wasserschmätzer im Fluge in den Bach stürzte und nach dem Tauchen unmittelbar von der Wasserfläche aufflog.
Aber die Eberwurzen schmeckten nach mehr. So machteer sich wieder ans Ausgraben und gab auch Eva einen Steinsplitter in die Hand. Das Schaben und Herrichten hatte sie zu besorgen. Obwohl Peter und Eva noch lange nicht satt waren, nahmen sie die Suche nach der Wohnhöhle wieder auf.
Wie groß war ihre Überraschung, als sie vom Ufer aus jenseits des Baches zwei schwarze Löcher in der Felswand gewahrten, groß genug, daß ein erwachsener Mensch aufrecht eindringen konnte. So nah waren sie den Höhlen gewesen! Peter sah sich nach einer seichten Stelle um, nahm Eva huckepack auf und watete durch die Furt. Durch taunasses Buschwerk und hohe Farnkräuter, über Geröll und umgefallene Baumriesen ging es den Höhlen zu.
Da, hinter den Bäumen stieg die Wand schräg auf zu der unteren Höhle, die sich gut zwei Mannslängen hoch über dem Boden auftat. Unter ihr war eine glattgeschliffene Rinne im Fels. Aha – da war der Bach früher einmal aus dem Berg herausgeflossen, bevor er sich im weichen Kalkfels einen tieferliegenden Weg ausgewaschen hatte!
Aber wie zu den Höhlen hinaufgelangen? In der glatten Rinne ging es nicht, und die nächsten Bäume standen nicht nahe genug.
Da fiel dem suchenden Peter eine abgestorbene armdicke Fichte auf – die gäbe einen Steigbaum ab, die wollte er hinüberlehnen! Der erste Versuch, den toten Baum zu brechen, gelang. Die Fichte knackte eine Handspanne über dem Erdboden ab. Aus dem morschen Strunk wimmelten Ameisen hervor, die ihre Wohnkammern ins tote Holz genagt hatten.
In die Rinne gelegt, bot der Baumstamm mit seinen Astquirlen Halt genug für Hände und Füße. Nach kurzem Klimmen hatte Peter die untere Höhle erreicht.
Mit klopfendem Herzen trat er ein. Sein erster Gedanke waren die Bären. Aber der Lehmboden zeigte keine Tatzenabdrücke, die Höhle war unbewohnt. Und Peter konnte darin aufrecht umhergehen. Seine Füße wateten in trockenem, lehmigem Sand, der mit Steinen, Vogelmist und vermodertem Laub untermischt war. Das
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