Im Heimlichen Grund
Finger erforderten. Das Ausbessern der Steinbeile, das Zuschleifen knöcherner Pfeilspitzen, das Ergänzen der schadhaft gewordenen, ungleich gegerbten Fellbekleidung, all das waren dringende Aufgaben.
Peter erinnerte sich seines Versprechens, Eva das Bild der Ahnl zu schaffen.
Wenn er bis tief in den Tag hineingeschlafen hatte und nachts nicht gleich Ruhe fand, kreisten seine Gedanken um diese künstlerische Aufgabe, die ihm – nachts – kinderleicht erschien. Als er endlich daranging, seine Vorstellung von der Ahnl in knetbarem Lehm festzuhalten, da wurde eine verhutzelte Gestalt daraus, die nicht nur Hände und Füßehatte: Durch die Hakennase, die sich dem Kinn näherte und durch das gescheitelte Haar erinnerte die Figur tatsächlich ein wenig an die alte Frau. Eine zweite Lehmpuppe, etwas kleiner und mit flachem, ausdruckslosem Gesicht, sollte Peters Mutter vorstellen, deren Aussehen in seiner Seele verblaßt war; er hatte ihr ein winziges Püppchen in die Arme gegeben, das sein totes Schwesterchen sein sollte. Ermutigt von seinem Erfolg, bildete er noch einen alten Mann, der sich auf einen überlangen Bergstock stützte. Ein wallender Vollbart kennzeichnete ihn als den Ähnl. So roh auch die Darstellungen waren, die Höhlenkinder sahen nicht das, was sie vor Augen, sondern das, was sie in den Seelen hatten.
In der Nähe der Feuerstelle hartgetrocknet, wurden die Ahnenbilder in einer halbdunklen Felsennische der oberen Kammer aufgestellt.
Die Striche im Steinkalender führten von Sonntag zu Sonntag.
Die Kinder gingen am heiligen Tag nicht mehr zum tiefverschneiten Grabhügel; sie verrichteten ihre Andachten vor den Bildern der Ahnen, die sie mit Gott vereint wußten. Hier sprachen sie mit ihren Schutzgeistern. Hier suchte Eva Trost, wenn sie sich krank wähnte und bat um Schutz vor bösen Geistern. Hier erneuerte Peter seinen Mut für bekannte und geahnte Gefahren.
Und immer war es ihm, als spräche die Ahnl zu ihm: »Paß auf Eva auf, laß ihr kein Leid geschehen, sei gut zu ihr.«
Mochten auch die Gegensätze im Wesen der beiden wie eine unsichtbare Wand zwischen ihnen stehen, sie hatten doch manche gute Stunde miteinander; denn helfen, geben und nehmen gehören zum glücklichen Leben. Und das anerkennende Wort für den, der etwas Gutes zuwege gebracht hat! Auch die Höhlenkinder erfuhren die Wahrheitdieser Erkenntnis. Am Lob des anderen entzündete sich das Selbstvertrauen und wagte sich an neue, größere Aufgaben. So träumte Peter davon, die Wohnhöhlen zu erweitern, Bären, Wildkatzen und Schlangen auszurotten, durchlochte Steinbeile herzustellen.
Auch Eva dachte und plante weit voraus: Gut schließende Kleider wollte sie nähen, daß Peter und ihr weder Kälte noch Mücken etwas anhaben sollten. Betrachtete sie den hartgebrannten Lehmscherben mit dem Fußabdruck, so erschlossen sich ihr lockende Möglichkeiten. Der knetbare Lehm behielt ja jede Gestalt, die man ihm gab! Eva sah sich als Hausmutter, der es an nichts gebrach, und sie hoffte, daß es ihr gelingen werde, Peter zu ändern. Er mußte sein rohes Wesen ablegen; sie wünschte es, sie brauchte es – vielleicht tat er es ihr zuliebe.
ebook Erstellung - März 2010 - TUX
Ende
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