Im Heimlichen Grund
mochte wohl der Wind hereingeweht haben. Peter forschte weiter. Seine Augen gewöhnten sich an das Dämmerlicht. Bald konnte er Einzelheiten unterscheiden. Auf der dünnen Sinterschicht der Wände lag ein Hauch von Ruß; nur wo der blättrige Sinter abgebröckelt war, schimmerte der helle Kalkfels hervor. Hier also hatte die Ahnl gehaust! Nach links hin hob sich der Boden. Dort führte ein schmaler Spalt aufwärts zur zweiten Höhle, die sie von außen bemerkt hatten. Ein anderer Gang senkte sich rechts zum Quellsee, aus dem der Bach kam. Dieser Teil der Höhle war dunkel und kalt. Der linke aufsteigende Gang verengte sich zu einem schmalen Schlot.
Knie und Ellbogen gegen die Wände gestemmt, arbeitete sich Peter hinauf.
Sein Eintritt in die zweite Höhle verscheuchte eine Schar Felsentauben, die in überstürzter Flucht durch die hohe Öffnung abflogen. Der Raum war ganz trocken und in seinem vorderen Teil hell. Nach hinten verengte er sich zu einem schmalen, stockfinsteren Loch, das schräg aufwärts führte und sich im Innern des Bergs verlor. Dorthin konnte Peter nicht vordringen. Fledermäuse flatterten auf und suchten erschrocken das Freie. Die obere Höhle war viel schmäler als die untere. Da sie aber heller war, machte sie einen wohnlicheren Eindruck. Durch das Lichtloch schimmerte das Grün der nahen Baumwipfel. Peter war geblendet von der Fernsicht. Zwischen den Wipfelzweigen der Bäume sah er bis zu den rosig überhauchten Klammwänden und noch weiter auf ferne Gipfel, deren Firnfelder imAlpenglühen flammten. Weit beugte er sich über die steile Wand hinab zu Eva, die unverwandt zur unteren Höhle schaute.
»Everl!« jauchzte er, »das Kammerl ist gut!«
Eine rasche Kopfwendung – sie hatte ihn entdeckt. Ein Lächeln flog über ihr Gesicht. Eilig kletterte sie den Steigbaum empor und stand, von Peter durch den Spalt gezogen, im Nu neben ihm. Ihr erster Blick galt dem Grün vor der Luke. Ohne den schmutzbedeckten Boden zu betreten, meinte sie: »Sauber auskehren muß ich wohl!«
Und als wäre es ein Spiel, sagte sie: »Das ist mein Kammerl, gelt?«
»Ja, freilich.« Peter war gleich einverstanden. »Das wirst aufräumen, gelt? Du wirst heroben hausen und ich drunten. Wenn ein Bär kommt, kriegt er's zuerst mit mir zu tun.« Er sagte dies recht zuversichtlich, aber innerlich war ihm nicht recht wohl dabei.
Mit geschicktem Daumendruck öffnete Eva ein Taubenei und wollte es an die Lippen führen. Aber es war schon bebrütet. Ein zusammengekauertes Vögelchen mit übergroßem Kopf und plumpen Füßen lag schlummernd darin. Enttäuscht legte sie es weg. Mehr als die Hälfte der Eier war in diesem Zustande, vom Rest waren die meisten ungenießbar.
»Weißt Peter, was dazu gut wär'?« meinte Eva, als sie ihr letztes geschlürft hatte.
»Freilich weiß ich's – und ich wollt', ich hätt' die Ahnl danach gefragt – Salz fehlt. Das wird uns noch stark abgehen. Ob's überhaupt da herin Salz gibt? Wenn der Ähnl noch da wär', der wüßt's vielleicht zu finden. Der hat uns ja immer die Salzsteine gebracht.«
Ach, die Ahnl und der Ähnl! Die beiden Kinder waren sich wieder ihrer Verlassenheit bewußt geworden. Aber die Gegenwart nahm ihre Aufmerksamkeit bald ganz in Anspruch.Die Höhlen mußten erst wohnlich werden. Mit einem Fichtenzweig versuchte Eva, sie auszukehren, aber das ging nicht so recht mit dem einfachen Zweigbesen. Peter schnürte mit einer Waldrebenranke drei Zweige zu einem buschigen Besen, das erste Gerät für die neue Hausfrau.
Das nächste war die Herstellung der Lager. Dazu war viel Reisig, Laub und Moos nötig, Dinge, die nur der Wald liefern konnte. Über ein ausgetrocknetes Bachbett und einen schmalen Wiesenstreifen gehend, gelangten die beiden an den Waldrand. Während Eva mit den Händen Laub zusammenrechte und Moos vom Boden löste, stöberte Peter im Jungholz, brach dichtbelaubte Buchen- und Eschenzweige ab und versäumte nicht, Schößlinge von Bergholunder, Salbei, Lavendelstauden, Germer und Labkraut zu sammeln und im Sonnenschein auszubreiten. Diese Kräuter sollten, ins Lager eingelegt, das Ungeziefer fernhalten. Dann holte er von der Berglehne einige Arme voll verblühter Alpenrosenstauden, deren federndes Gezweig das Lager locker machen sollte.
Mit Vorbedacht ging Peter nun ans Werk, Evas Bett zu richten. Erst legte er eine Schicht Reisig auf den Boden, darüber kamen Alpenrosenstauden und Schutzkräuter, dann Laub und Moos. Als er fragend zu Eva aufschaute, nahm sie
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