Im Heimlichen Grund
Ausgang einer Grotte. Und die ganze Breite des Höhlentors nahm eine spiegelglatte Wasserfläche ein, deren tiefes Grün zum Hintergrund hin in Schwarz überging. Stille war's drinnen im Berg, als dehnte sich die regungslose Wasserfläche weit ins Erdinnere. Da war nun eine Höhle, da wäre eine Wohnung gewesen, aber die gehörte dem Bach.
Peter wagte nicht, in der Dämmerung weiterzuforschen. Die Ahnl hatte von Bären erzählt, die da in Höhlen hausten. Schon war die Sonne hinter den Klammwänden verschwunden. Die Kinder sahen einander verzagt an. Sie mußten doch irgendwo übernachten, wo sie vor der Kälte geschützt waren; sie kannten die Nächte im Gebirge. Und Peter sah Evas Augen feucht glänzen vor Bangigkeit. Da wandte er sich dem Walde zu. Ohne lange zu suchen, fand er in der Nähe der Felswand eine riesige Buche, deren Stamm über dem Boden eine Höhlung zeigte, groß genug für Eva, daß sie sich darin zum Schlafe zusammenkauern konnte. Aus Laub und Gras machte er ihr ein Nest und forderte sie auf, sich in die Höhlung zu ducken. Zögernd gehorchte Eva.
Er selbst kroch unter ein Gebüsch am Fuße der Buche, über dessen Zweige sich ein dichtes Gewinde von Waldreben gesponnen hatte. Hier häufte er dürres Laub als Lager und Decke für sich auf. Das war für Eva eine Beruhigung. Lange flüsterte er noch zu ihr hinüber und versprach ihr,morgen ganz gewiß eine schöne Höhle im Gefels zu finden. Als er Eva endlich in Schlaf geplaudert hatte, überfiel ihn wieder die Sorge. Obwohl er sich tief in das Laub eingewühlt hatte, hielt ihn die zunehmende Nachtkälte wach. Er horchte den unerklärlichen Geräuschen und Stimmen des Waldes nach. Ganz nahe bei ihm krabbelte allerlei im Laubwerk, und aus dem Walde drangen von Zeit zu Zeit, das Raunen der Baumkronen und das Rauschen des Baches übertönend, unheimliche Rufe, bald ein tiefes »Pu-hu!«, bald ein hohles, gedehntes »Hu-hu! Hu-hu-huu!« –, das in ein Weinen, Wiehern, Lachen und Jauchzen überging. Peter standen die Haare zu Berge. Er kannte nicht das Locklied der Waldohreule, und seine Phantasie bevölkerte den Wald mit märchenhaften Unholden. Dazu kam seine nicht unberechtigte Angst vor Bären.
Peter tastete den Boden ab und fand bald einen scharfkantigen Stein, den er als Waffe gebrauchen wollte. Mit dem wollte er den Bären mitten auf die Schnauze schlagen. Doch je mehr er sich in den ungleichen Kampf hineindachte, um so geringer wurde seine Zuversicht – ja, er begann am ganzen Leibe zu zittern, als vom Walde herüber das Knistern zerbrechenden Reisigs zu ihm herüberdrang.
Nie im Leben hatte er solche Angst ausgestanden. Sooft er auch mit der Ahnl im Wald übernachtet hatte, in ihrer Nähe war ihm immer sicher zumute gewesen. Er dachte an die Tote und wurde ruhiger, und als sich das Geräusch in der Ferne verlor, löste sich die Angst.
Wohnhöhlen und Steigbaum
Ein nagender Hunger weckte Peter beim Morgengrauen.
Er fuhr sich über die Augen und reckte die steifen Glieder, kroch dann unter dem Busch hervor und schüttelte das anhaftende Laub von sich ab. Das Rauschen des nahen Baches und die verschwommenen Umrisse der Bäume im Morgennebel erinnerten ihn an die Ereignisse des Vortags. Zusehends wurde es heller. Von den armlangen Bartflechten der Fichten tropfte der Tau, eine prickelnde Kühle lag in der Luft. Behutsam beugte sich Peter über Eva. Sie schlief noch.
Er mochte sie nicht wecken. Aber er selbst mußte fort; wenn sie erwachte, wollte sie essen.
Ein brennender Schmerz am rechten Unterarm ließ ihn zusammenzucken, er sah nach und fand eine Zecke, wie sie im dürren Laub häufig sind; sie hatte sich in seine Haut gebohrt. Er wußte recht gut, daß er den Leib dieses Blutsaugers nicht losreißen durfte, weil sonst Kopf und Füße unter der Haut stecken geblieben wären und eine böse Wunde verursacht hätten. Peter griff zum Heilmittel der Ahnl für allerlei Hautübel: Ein Tropfen gelbes, halbflüssiges Fichtenharz auf das Tier gestrichen, mußte es zum Absterben und Abfallen bringen. Er nahm sich vor, mit Salbei, Germer und gelbem Labkraut das Ungeziefer von seinem künftigen Lager fernzuhalten.
Bis zu den Knien stieg er in die kalte, klare Flut des Baches. An zwei große Felsbrocken, die aus dem Wasser ragten, reihte er einen dritten, so daß er, von einem zum anderen springend, den Bach überqueren konnte. Drüben schlenderte er die Berglehne entlang, musterte den spärlich bewachsenen Boden und fand noch wenig entwickelte
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