Im Heimlichen Grund
gewachsen. Er zeigte ihm, wie man von grünen Weidenschößlingen durch Klopfen die Rinde lösen und daraus Hirtenflöten machenkann. Unermüdlich schleppte er für den Jungen heim, was er an Kristallen im Urgestein fand, aber auch Mergelplatten aus dem Kalkgebirge, sonderbar geformte Baumschwämme, Knorren, Garns- und Rehkrickel aus dem Lawinenschutt. Peter barg in seinem Winkel auf dem Dachboden einen reichen Schatz, den er durch neue Funde vermehrte, ohne mit den Dingen viel anfangen zu können, weil die Arbeit ihm keine Zeit ließ. Nur an regnerischen Sonntagen, wenn er die Haustiere versorgt, Holz und Wasser geschleppt hatte, pflegte er seine Schätze vor Eva auszukramen und hatte seine Freude daran. Ab und zu regte ihn die Form eines Gegenstandes an, daraus ein Gerät zu basteln. So diente ihm ein Ziegenhorn als Scheide für den Wetzstein zu seiner Sichel, und einen dünnen Bergkristall benützte er als Griffel, mit dem er so gut es ging die Umrisse von Tieren und Menschen in die Mergelplatten ritzte.
War Peter mit seinen Ziegen allein im Gefels, so vertrieb er sich die Zeit nach Hirtenbubenart: Er warf mit Steinen nach allerlei Zielen. Bald gelang es ihm, einen faustgroßen Steinbrocken, den er auf die Spitze eines Felsens gelegt hatte, aus ziemlicher Entfernung zu treffen und wurde darin so geschickt, daß er ein Murmeltier vor dem Bau und einen Alpenhasen beim Äsen erlegte. So steuerte er wie ein Jäger der grauen Vorzeitmanches Stück Wildbret für die Küche bei und schulte Auge und Hand. Für die Bälge der erlegten Tiere, die Peter sorgfältig abgezogen hatte, tauschte die Ahnl bei den Bauern allerlei Eßbares ein.
Der altwerdende Köhler Hans pries den Tag, an dem Peter ins Haus gekommen war; nun brauchte ihm vor den Jahren der Gebrechlichkeit nicht mehr angst zu sein. Und wenn er mit seiner weißhaarigen Schwester ausruhend vor der Hütte saß, sprachen beide davon, daß Eva einst Peters Frau werden sollte.
Da kam wieder Unglück in das bescheidene Leben dieser Menschen. An einem Sommernachmittag hielt der Knecht des Kohlenbauern mit seinem Ochsengespann am Meiler. Er erzählte, im Stall eines Bauern, der die alte Stoderin in der Futterkammer hatte übernachten lassen, sei die Klauenseuche ausgebrochen. Das alte Gerücht, die Stoderin sei eine Hexe, sei wieder laut geworden, und die Meraner Gerichtsbarkeit habe Soldknechte ausgeschickt, sie gefangen zu nehmen. Daß ein Hexenprozeß nicht nur der Greisin den Martertod, sondern auch ihren Angehörigen Unheil bringen konnte, das wußten die beiden Alten nur zu gut. Noch am Abend mußten sie mit den beiden Kindern nach dem Heimlichen Grund aufbrechen. Die Stoderin verkleidete sich als Mann, um wenigstens von weitem Verfolger zu täuschen.
Über pfadlose Schutthalden stiegen sie empor zu einem Gebirgssattel, der südwärts führte.
Die Flucht zum Heimlichen Grund
Am Tage verbargen sie sich in den Schluchten, bei Nacht zogen sie weiter, und am dritten Morgen langten sie auf der Höhe einer Glimmerschieferhalde an. Mit rundlichen Blöcken bedeckt, fiel sie sanft ab zu einem tiefausgewaschenen Tal, aus dessen Bodennebeln vereinzelte Zirbelkiefern undeutlich aufragten. Jenseits des Baches hingen rostgelbe, vom Wasser unterhöhlte Kalkwände über, in denen sich als schwarzer, nach oben weit auseinanderklaffender Riß die Teufelsklamm abzeichnete.
Ohne Deckung wagten sie es nicht, bei Tag den langwierigen Abstieg zu unternehmen. Und todmüde waren sie auch. Jeder bekam ein Stück steinhartes Brot und trockenen Käse, und dann kauerten sich die Kinder mit der Ahnl auf dem harten Boden zum Schlafe hin. An einen Felsblock gelehnt, hielt der Alte scharf Ausschau, ob nicht irgendwo ein Verfolger auftauchte.
Gewohnt, auf Wettervorzeichen zu achten, musterte er den Himmel. Vom Osten, wo über sattblauen Bergketten Eisfelder leuchteten, bis zum fernen Westen, wo Gletscher im Alpenrot glühten, war die Welt der Berge überwölbt von wolkenloser, weißdurchleuchteter Bläue. Stechend strahlte die Sonne hernieder, trotz des frühen Morgens.
Dem Alten war die Morgenhitze verdächtig. Alles deutete auf ein bevorstehendes Gewitter. Und schon im Laufe des Vormittags zeigte sich im Nordwesten über den Schroffen eine Trübung des Himmels, die sich zusehends zu Wolken verdichtete.
Jetzt stand die Sonne fast über der Klamm und beleuchtete grell die schrägen Halden ihrer klaffenden Ränder. An ihnen hingen wunderlich verwitterte Gerölltrümmer so gefährlich, als
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