Im Heimlichen Grund
folgte auf Blitz, ein Donnerschlag löste den anderen ab.
Dann setzte ein Platzregen ein. Lange, lange strömte es herab. Die Ahnl warf den Rucksack und die regenschweren Überkleider ab; die Kinder folgten ihrem Beispiel. Es galt, das nackte Leben zu retten.
Gegen die anschwellende Ache ankämpfend, dachten die Alten an nichts anderes als an das steigende Wasser und an die unausbleiblichen Steinschläge.
Da – ein Knattern, das Gepolter stürzender Felsblöcke und ein Aufklatschen im Wasser, das hoch aufspritzte. Steinschlag!
Der Alte drehte sich nach den Kindern um und winkteihnen zu, sich seitwärts zu halten, wo die vorspringende Felswand den Bach schirmte. Im nächsten Augenblick brach er zusammen, niedergeschlagen von einer schweren Steinplatte, die ihn im Bach begrub. Die Kinder standen wie versteinert da. Die Ahnl aber faßte sie an den Händen und zog sie fort, vorbei am überfluteten Grabstein.
Die Felsen nahmen in der wachsenden Tageshelle bestimmte Umrisse an; durch den feinen Nebel, der die Schlucht erfüllte, sahen die Überlebenden den nahen Ausgang.
Was an Kraft noch in ihnen war, boten sie auf. Dort vorne winkte die Rettung: der Heimliche Grund!
Im Spalt, den oben weit vorhangende Felsen überdachten, nahm das Licht eine grünliche Färbung an. Noch wenige Schritte im Geröll neben dem Bach, und sie atmeten erleichtert auf: Vor ihnen lag der Heimliche Grund – ein weiter Talkessel, rings eingeschlossen von hohen Felswänden, an deren Fuß sich schräge, stellenweise mit Nadelbäumen bewachsene Schutthalden hinzogen! Der schotterige Grund aber, durch den sich der Bach schlängelte, war von hohem Gras, breitblättrigem Huflattich, üppigen Pestwurzen, blühenden Stauden und Jungholz bedeckt.
Da kniete die Ahnl nieder. Die Kinder folgten ihrem Beispiel. Die gefalteten Hände zum Himmel erhoben, betete sie laut und flehentlich: »Lieber Gott im Himmel, erbarme dich! Behüt mir die Kinder!« Dann stand sie taumelnd auf, und die drei Geretteten setzten ihren Weg in das Tal fort. Aus dem Lärmen des Bachs war nun ein Murmeln geworden, das die Stille im Talkessel kaum störte. Die tief hängenden grauen Wolken und darunter die Nebelschwaden an den Felswänden hatten etwas Einschläferndes.
Steifbeinig und langsam, aber zielbewußt, ging die Ahnl dahin, immer bachaufwärts; dort in der oberen Wand mochten wohl die Höhlen sein, von denen sie den Kindernoft erzählt hatte; still kam Peter nach und zog Eva, die kaum noch gehen konnte, mit sich.
Plötzlich änderte die alte Frau die Richtung. Sie bog nach rechts ab, wo ein überhängender Fels ein Dach gewährte. Dort lag eine Schicht braunen Laubes, vom Vorjahre her angeweht und angeschwemmt, halbvermodert. In diesen Laubhaufen vergrub sich die Stoderin, ihre Augen sahen ausdruckslos ins Leere. Peter und Eva kauerten sich zu ihr. Noch im Einschlafen spürten sie die Schauer, die den Körper der Ahnl überliefen.
In der Klamm aber lag unter einem Felsstück begraben der Ähnl samt Werkzeug und Gerät, das ihnen hätte dienen sollen: Beil und Handsäge, Meißel, Bohrer, Messer, Kochpfanne und Feuerzeug, alles war dahin, alles verloren!
Verwaist
Dem Gewitterregen folgte ein sonniger Morgen. Wallende Nebel stiegen von der Talsohle an den Hängen empor. Durch die klare Luft drang der vielstimmige Gesang der Ringdrosseln, Wasserschmätzer, Bergfinken, Girlitze und Grünlinge. Peter erwachte. Er rieb sich die Augen und sah die Sonnenpracht um sich her. Dann fiel sein Blick auf Eva, sie lag noch in tiefem Schlafe, eng hingeschmiegt an die Ahnl. Ein quälendes Hungergefühl trieb den Jungen zum Aufstehen. Seine Blicke prüften den reichen Pflanzenwuchs der Umgebung. Im Talgrunde blühten stachelige Männertreustauden und Wegwarten. Waren die Wurzeln auch mager, genießbar waren sie doch. Schon wollte Peter aufstehen, als er eine Rehgeiß gewahrte, die aus dem Jungholzins freie Grasland trat. Ihr folgten zwei Kitze, deren hellrotbraunes Fell noch weiß getüpfelt war. Sorglos näherten sie sich dem Beobachter. Jetzt bemerkte auch die Ricke den Jungen; sie äugte neugierig herüber, ohne Angst.
Peter durchfuhr der Gedanke: Beschleichen, fangen, töten, essen! Ohne zu überlegen, wie das Wild zubereitet werden könnte, ließ er sich auf Hände und Knie nieder und begann sich anzuschleichen. Er hatte Hunger, wütenden Hunger.
Unter ihm knackte dürres Reisig. Die Ricke sicherte mißtrauisch. Nur ihre nach vorn gerichteten Lauscher verrieten, daß sie
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