Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
wie Yerema erst zögernd, dann immer vertrauensvoller erzählte, und dass sie fürchte, böse Geister hätten ihre Tochter verhext. Isabel lauschte dem kurzen Wortwechsel auf Jabim mit zusammengezogenen Augenbrauen.
»Wer ist das?«, fragte das Mädchen und schaute die weiße Frau mit großen Augen an.
»Was hat sie gesagt?«, erkundigte sich Isabel.
»Sie will wissen, ob Sie eine Zauberin sind.«
»O nein.« Isabel lächelte. »Sagen Sie ihr, sie braucht keine Angst vor mir zu haben. Ich bin Lehrerin. Tisa «, erklärte sie dem Kind dann selbst auf Tok Pisin. »Und ich heiße Isabel. Nem bilong mi emi Isabel. Isa.«
» Tisa Isa«, fasste Noah zusammen, und die Kleine gluckste vor Begeisterung: » Tisa Isa!«
Isabel sah ihn an, als wollte sie protestieren, dann wandte sie sich mit einem kurzen Kopfschütteln dem Kind zu. Sie konnte nicht viel mehr ausrichten, als der Mutter ein paar allgemeine Ratschläge mitzugeben, aber offenbar war das schon ein Erfolg, denn Yerema zog dankbar mit ihrer Tochter davon.
»Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet«, sagte Noah, sobald Mutter und Kind sich entfernt hatten.
Isabel begann, die benutzten Instrumente in ein Tuch zu schlagen. »Welche denn?«
»Was hat Paul – Bruder Lorenz – Ihnen über mich erzählt?«
Sie zögerte, dann ließ sie das Tuch sinken. »Dass Herr Finsch Sie bei einem Eingeborenenstamm am Kaiserin-Augusta-Fluss gefunden hat. Und dass Sie ihn auf Deutsch angesprochen haben.«
Ja, er erinnerte sich noch gut daran.
Die Worte in der Sprache, die diese weißen Männer untereinander wechseln, lösen etwas aus in ihm. Fast verschüttet sind sie, so lange hat er sie weder gehört noch gesprochen, und doch versteht er sie mühelos. Und rasend schnell wie ein rauschender Fluss kommt die Erinnerung an die vertrauten Worte, Sätze, Bedeutungen zurück. Silben, die sich in seinem Kopf zu Worten formen, Worte, die Sätze ergeben. Erst langsam, stockend, dann immer schneller. Er kann nicht anders, er muss mit diesen fremden weißen Männern reden.
»Können Sie sich wirklich nicht erinnern, wie Sie dorthin gekommen sind?«
»Nein.« Gut, das stimmte nicht ganz. Manchmal, in seltenen Momenten, blitzte so etwas wie eine Erinnerung auf. Eine singende Frauenstimme oder Bilder von einer großen, behaarten Männerhand, aber immer nur kurz und nie so greifbar, dass er sie hätte zuordnen können.
»Ich stelle mir das sehr schwierig vor, nicht zu wissen, woher man kommt oder wohin man gehört.«
»Es könnte schlimmer sein. Ich denke nicht oft darüber nach.«
Ihre Fragen gerieten allmählich in eine Richtung, die ihm nicht behagte. Er wollte ihr Interesse wecken, nicht ihr Mitleid.
»Vielleicht stimmt es ja«, fuhr sie fort, »was ein kluger Mann einmal gesagt hat: Die wahre Heimat ist die Sprache.«
Im Schatten einer Palme entdeckte er einen Gecko mit breiten, hell-und dunkelbraunen Streifen, die kleinen Hände mit ihren fünf Fingern den menschlichen so ähnlich. »Dann habe ich nicht nur eine Heimat.«
»Wie viele Sprachen sprechen Sie?«
Er hob die Schultern. »Ich habe nie gezählt.«
»Aber das müssen Sie doch wissen!« Sie sah ihn in ehrlichem Erstaunen an. »Dann lassen Sie uns zählen: Jabim, ganz offensichtlich. Deutsch, ebenso offensichtlich. Tok Pisin, wie Sie mir heute Morgen schon bewiesen haben. Was noch?«
»Kâte«, sagte er. »Das ist die Sprache der hiesigen Bergstämme. Und Kandangai, das am mittleren Kaiserin-Augusta-Fluss gesprochen wird.«
»Und andere europäische Sprachen? Was ist mit Holländisch – Neuguinea gehört schließlich zur Hälfte den Niederlanden. Oder Französisch?«
Er schüttelte den Kopf.
»Englisch?«
»Ein bisschen. Genug, um mich verständlich zu machen.«
»Das sind sechs Sprachen!«
Ihre Bewunderung schmeichelte ihm – und forderte ihn heraus. Er sah zu dem Gecko hinüber. »Es gibt noch eine siebte«, sagte er so gleichmütig wie möglich. »Die Sprache der Tiere.«
»Der Tiere?« Sie sah ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen an. »Seien Sie nicht albern!«
»Sie glauben mir nicht? Warten Sie, ich beweise es Ihnen.«
Langsam stand er auf, um sich nach wenigen Schritten genauso langsam wieder vorzubeugen. Seine rechte Hand schnellte nach vorne und schloss sich um den Gecko. Er blickte kurz auf, ob sie auch zusah, dann drehte er den kleinen, kühlen Körper vorsichtig um, legte ihn rücklings auf seine geöffnete linke Handfläche und murmelte ein paar Worte auf Kandangai.
»Was tun Sie
Weitere Kostenlose Bücher