Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
sich durch das Dickicht bis vor zum Fluss, der leise dahinrauschte. Kein Mensch war zu sehen, nur ein paar Reiher flogen auf, als Isabel sich vorsichtig umsah. Am gegenüberliegenden Ufer zogen sich Sandbänke entlang. Mit bloßen Füßen trat sie in das flache, von schlammigen Schlieren durchzogene Wasser des Uferbereichs, ihre Fußsohlen tasteten sich über Steine und glitschigen Schlamm. Dennoch lief es sich besser als an Land, und vermutlich war es auch sicherer, denn hier wuchsen keine Pflanzen, die womöglich gefährlich sein konnten.
Es war brütend heiß, und nur das hohe, feine Summen der allgegenwärtigen Moskitos durchbrach die Stille. Über ihrem Kopf schienen sich Schwärme von Mücken verabredet zu haben. Im Wasser trieben Blätter, Zweige, in der Flussmitte ab und zu ein kleinerer Baumstamm. Ihr Schweiß floss in Strömen, doch hier am Fluss war die Hitze besser zu ertragen, und die schwere Luft ließ sich leichter atmen als unter dem stickigen Blattkronendach.
War es wirklich richtig, was sie tat? Finschhafen lag an der Küste, aber sie bewegte sich immer weiter ins Landesinnere. Sollte sie nicht besser umkehren und dem Fluss in Richtung Meer folgen? Aber dann müsste sie wieder am Dorf der Donowai vorbei. Außerdem wusste sie nicht, wie viele Kilometer landeinwärts sie sich hier befand. Zu Fuß konnte es Wochen dauern, bis sie an der Küste ankam. Das würde sie wohl kaum überleben. Und Noah hatte behauptet, die Forscher seien flussaufwärts gezogen.
So watete sie gegen die Strömung und wechselte nur kurz an Land, wenn das Wasser zu tief wurde oder sie ein Hindernis umrunden musste. Sie lief auch dann noch weiter, als der Gesang der Zikaden einsetzte und der goldene Glanz der kurzen Dämmerung in die Nacht überging. Froschgequake und seltsame Laute erfüllten die Dunkelheit. Ein leichter Wind brachte ersehnte Kühle, auf dem Wasser spiegelte sich gespenstisch der fast volle Mond.
Ein Rauschen ließ Isabel anhalten und erschrocken aufblicken. Von einem Baum am gegenüberliegenden Ufer erhoben sich wie auf einen stummen Befehl hin Hunderte kleiner Flughunde. Es war ein beängstigendes und zugleich faszinierendes Schauspiel, wie die dunklen, fledermausähnlichen Umrisse mit leise flappendem Flügelschlag flussaufwärts dahinglitten. In die Richtung, die auch Isabel eingeschlagen hatte. Ob das ein gutes Omen war?
Sie war kaum ein paar weitere Schritte gelaufen, als sie sich schmerzhaft das Schienbein stieß. Unterdrückt schrie sie auf, sie konnte sich gerade noch auf den Beinen halten. Sie war gegen einen großen, im Wasser liegenden Baumstamm gestoßen, sie spürte mehr, als dass sie es sah, dass die Haut aufgerissen war und blutete.
Es hatte keinen Sinn, in dieser Dunkelheit weiterzulaufen; sie würde nur noch mehr Verletzungen riskieren. Und sie musste sich dringend ausruhen.
Ihre nackten Zehen rutschten über Schlamm und Uferpflanzen, als sie ans Ufer tappte. Über ihr ragten die dunklen Schatten der Bäume auf und verdeckten den Mond. Sie benutzte das lange Buschmesser wie einen Spazierstock, um den Weg vor sich nach Schlangen oder sonstigem giftigen Getier abzutasten. Ein armseliger Versuch, aber etwas anderes hatte sie nicht. Wahrscheinlich war es gut, dass sie kaum mehr die Hand vor Augen sah – wer wusste schon, was alles unter ihren Fußsohlen dahinkroch.
Als sie sich aufrichtete, stieß sie mit dem Kopf an einen breiten, fast waagerecht verlaufenden Ast. Sie tastete sich an dem dazugehörigen Baumstamm entlang. Ob Giftschlangen auch auf Bäume kletterten?
Sie schlug das Messer so hoch wie möglich in die Rinde, um die Hände frei zu haben, und zog sich mühsam nach oben, bis sie auf dem breiten Ast saß, der mit Moos und Baumfarnen bewachsen war. Wo er in den Stamm überging, band sie sich mit einer dünnen Liane fest, um nicht im Schlaf herunterzufallen, und lehnte sich an den Stamm. Sie würde zwar kein Auge zumachen, aber sie konnte hier auf den Morgen warten. Hoffentlich blieb sie von Spinnen oder Schlangen verschont.
16.
Die verdammte Pfeilspitze hatte Widerhaken, und der höllische Schmerz, als einer der Donowai den Pfeil aus Noahs Wade zog, ließ ihn aufschreien.
»Wo ist die Frau?«, war die einzige Frage, die sie an ihn richteten. Wenn sie so fragten, konnten sie Isabel nicht gesehen haben.
»Über … die Brücke«, presste er hervor. Der Schmerz machte ihn so benommen, dass er kaum sprechen konnte. »Sie hat … das Messer mitgenommen.«
Ob sie ihm glaubten?
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