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Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)

Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)

Titel: Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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Kanus berührte, schoss es wie ein Blitz durch sie: Sie bildete es sich nicht ein! Das hier war die Wirklichkeit!
    Über den Uferschlamm wankte sie auf das Feuer zu.
    »Wer ist da?«, hörte sie eine männliche Stimme auf Deutsch fragen. Die Stimme eines Engels. »Stehen bleiben, oder ich schieße! Stopim no sutim! «
    Ein Schatten mit angelegtem Gewehr trat auf sie zu.
    Isabel blieb wie angewurzelt stehen. »Nicht, bitte«, flüsterte sie. Ihre Stimme wollte ihr kaum gehorchen.
    »Wer spricht da?« Der Mann trat noch weiter nach vorne, mit gesenktem Gewehr. »Das klang wie eine Frau!«
    Sie fiel ihm fast in die Arme.
    »Hilfe«, stammelte sie. »Bitte, helfen Sie mir.«
    *
    »Sie müssen zugeben, Fräulein Maritz, dass Ihre Geschichte ein wenig … seltsam klingt.« Karl Lauterbach, der Leiter der Ottilienfluss-Expedition, zwirbelte an seinem Schnurrbart. Die Morgensonne warf Schatten über seine gutaussehenden Züge. Zwischen den Zelten am breiten Ufer stapelten sich Ausrüstungsgegenstände, Botanisiertrommeln, Pflanzenpressen und Zeichengeräte neben Essensvorräten und Munition.
    »Sie glauben mir nicht?« Isabel schluckte den letzten Rest Zwieback hinunter. Nach einer kurzen Nacht, in der sie wie eine Tote in einem ihr zur Verfügung gestellten Zelt geschlafen hatte, stand sie den Herren jetzt beim Frühstück Rede und Antwort.
    Die Expedition, die vor einem guten Monat mit einem Raddampfer in Finschhafen aufgebrochen war, bestand aus sieben Forschern und ebenso vielen dunkelhäutigen Trägern. Sie wollten den Lauf des Gewässers untersuchen, das sie Ottilienfluss nannten. Vor neun Tagen, als der Fluss immer weniger Tiefgang aufwies, hatten sie den Dampfer mitsamt Besatzung an einer geeigneten Stelle ankern lassen und waren auf einige mitgeführte Kanus umgestiegen.
    »Doch, ich glaube Ihnen«, gab Lauterbach nun zurück. »Sie haben ganz offensichtlich Schreckliches mitgemacht und eine schwere nervliche Erschütterung erlitten.«
    Isabel strich über ihre verfilzten Haare, die sie mit einem geliehenen Kamm notdürftig ausgekämmt und zu einem einfachen Zopf geflochten hatte. Dr. Timm, der die Expedition begleitende Arzt, hatte ihre entzündeten, mit Schnittwunden übersäten Füße verbunden und in Ermangelung passenden Schuhwerks mit ein paar Stofflappen umwickelt. Einer der Herren hatte ihr ein Hemd gegeben, von einem anderen hatte sie eine Leinenhose erhalten. Die Beinkleider trugen sich für Isabel noch ungewohnter als der Bastrock – sie fand es geradezu unanständig, sich in diesem Aufzug zu zeigen. Aber sie konnte natürlich unmöglich noch länger in dem völlig zerfetzten Bastrock herumlaufen.
    »Ich habe nur noch immer nicht ganz verstanden, Fräulein Maritz, wie Sie hier gelandet sind. Sie sagen, Sie seien entführt worden, wollen mir aber nicht verraten, von wem. Und dann behaupten Sie, ein Eingeborenenstamm habe Sie beide festgehalten und mit dem Tode bedroht?«
    Sie nickte.
    »Und Ihr Bruder – wie hieß er? Moses?«
    »Noah! Sein Name ist Noah!«
    »Entschuldigung. Ihr Bruder ist also noch in den Händen dieser Wilden, sagen Sie, während Sie selbst flüchten konnten?«
    Erneut nickte sie. Sie hatte lange überlegt, was sie den Herren erzählen sollte. Es war hier wie überall auf der Welt: Das Leben eines Einheimischen zählte weniger als das eines Weißen. Für einen halbweißen Dolmetscher, der noch dazu des Mordes verdächtig und der Entführung schuldig war, würden sich die Forscher wohl kaum in Gefahr begeben. Womöglich würden sie es sogar begrüßen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wurde und ein mutmaßlicher Mörder seine Strafe fand. Nein, das durfte sie nicht riskieren. Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu schwindeln. Und eine bessere Lüge als die, Noah sei ihr Bruder, war ihr nicht eingefallen.
    »Bitte, Herr Lauterbach, meine Herren, ich werde Ihnen später alles genau erzählen. Aber jetzt müssen wir uns beeilen. Wir müssen ihm helfen!«
    Einer der Männer mit Namen Wackernagel schüttelte den Kopf. »Wir sind Forscher, kein Straftrupp, Lauterbach. Wollen Sie Ihre Expedition gefährden und das Leben Ihrer Leute aufs Spiel setzen?«
    »Sie haben doch Gewehre«, wandte Isabel ein. »Sie und Ihre Träger sind bewaffnet!«
    »Aber das sind keine Polizeisoldaten.« Wackernagel versuchte sich an einem gewinnenden Lächeln. »Hören Sie, Fräulein Maritz, wollen Sie nicht zusammen mit einigen von uns zurückkehren nach Finschhafen und von dort aus einen Trupp losschicken,

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